Moin Leute. Ihr wisst ja: "Es ist ganz leicht das Rauchen aufzugeben. Ich habe es schon hundert mal geschafft." (Mark Twain)

Samstag, 5. Februar 2011

Nenn' mich einfach "Dolly"

Kühlenkirchen ist nichts besonderes. Nur ein paar niedrige Häuser, die sich direkt an der Bundestrasse 41 aufgereiht haben. Einen Ortskern gibt es nicht, nur eine scharfe Rechtskurve an deren Scheitelpunkt die alte Backsteinkirche steht. Ein wenig besuchtes Gemäuer mit harten Bänken.
Zur Rechten der Kirche befindet sich das Gasthaus „Zum sanften Reh“, eine Örtlichkeit mit ähnlich harten Sitzgelegenheiten, aber einer deutlich größeren Auswahl an alkoholischen Getränken.
Auf der linken Seite des Kirchplatzes die Schlachterei von Erwin Fröhlich, einem Mann, der sein Hobby zum Beruf gemacht hatte und die Bäckerei Kampmann, die aber nichts zur Sache tut.
Hier in Kühlenkirchen lebte Bauer Johann Jensen.
Er war fast fünfzig und sein Hof brachte ihm jedes Jahr weniger ein als im Jahr zuvor. Eines Abends traf Johann den Schlachter Fröhlich in der Dorfschänke und klagte ihm sein Leid.
Du solltest etwas anderes machen,“ sagte Fröhlich.
Was meinst du?“
Ich meine, du solltest Schweine züchten. Das hat Zukunft.
Viele süße kleine Ferkelchen, und ich kaufe dir die dann ab.“
Ich hab` überhaupt keine Ahnung von Schweinezucht.“
Das macht nichts, die Schweine wissen, was sie zu tun haben. Erstmal kaufst du dir einen kräftigen Eber und eine hübsche junge Sau. Du wirst sehen, das ist alles keine Zauberei.“
Jensen hatte wenige Alternativen. Er verkaufte seinen Traktor, verpachtete fast alle seiner Felder und schaffte sich Romeo und Klementine an.
Romeo, ein Eber von knapp sechs Zentnern, hatte mit seiner unglaublichen Potenz schon in ganz Schleswig Holstein für Spanferkel - Nachschub gesorgt. Klementine war noch nicht so lange im Geschäft, aber nach Aussage ihres Züchters hatte sie ganz hervorragende Anlagen. Romeo fand Gefallen an seiner neuen Freundin, und wenn Jensen auf seiner Terrasse saß und dem wilden Quiken und Grunzen nebenan lauschte, dann hörte er auch das Knistern der Scheine, die ihn und seine Frau Martha demnächst nach Mallorca schicken würden.
Klementine wurde schwanger und ließ sich nicht lumpen. Sie brachte zehn rosige Ferkel zur Welt, die noch eine Weile gepäppelt wurden, bevor Meister Fröhlich sie mit einem Lächeln übernahm.
Er bezahlte einen guten Preis, und alle waren zufrieden.
Klementine nicht, aber wen interessieren schon die Gefühle eines Mutterschweins.
Siehst du, Martha“, sagte Jensen zu seiner Frau,“ deine Sorge war ganz unnötig. Wir sitzen hier fein auf der Veranda, die beiden da hinten haben ihren Spaß und das Geld kommt fast wie bei der Frührente.“
Klementine wurde noch drei mal trächtig, dann war plötzlich Schluss.
Romeo hatte jegliches Interesse an ihr verloren.
Er öffnete kaum noch ein Auge wenn sie an ihm vorbei tänzelte, da konnte sie machen was sie wollte – keine Reaktion.
Jensen war besorgt und ging in die Schänke um sich mit seinem Kumpel Erich zu beraten. Der Wirt war ein guter Zuhörer.
Der geht da einfach nicht mehr dran. Ich versteh` das nicht“, sagte Jensen.
Vielleicht ham sie sich ja auseinandergelebt, so was soll vorkommen.“
Das ist nich witzig, Erich.“
Nee, im ernst Johann, das kann doch bei die Schweine auch so sein.“
Was meinst du?“
Na, du weißt doch, wie das so ist,... und Schweine sind ja vielleicht auch nur Menschen.“
Du meinst, er findet sie nich mehr so richtig attraktiv?“
Genau.“
Und was soll ich da jetzt machen, Lippenstift? Kölnisch Wasser ?
Oder soll ich ihr die Borsten färben?“
Nee, aber vielleicht ein kleiner chirurgischer Eingriff...“
Wie?“
Na, denk doch mal nach. Dein Romeo ist doch auch`n Kerl und wo drauf stehen die Kerle?“
Jensen musste einen Moment überlegen. „Kohlrouladen?“
Nee, du Dussel. Hier,“ der Wirt griff sich mit beiden Händen an die Brust. „das meine ich: „dicke Dudeln“.
Ach du spinnst doch. Soll ich etwa bei Klementine `ne Brustvergrösserung machen lassen?“
Genau, mein Alter, genau das meine ich. Hier, trink noch einen.“
In dieser Nacht schlief Jensen noch schlechter als gewöhnlich. Ganz im Gegensatz zu Romeo. Der schnarchte zufrieden vor sich hin, und träumte von allerlei Dingen, von denen Klementine besser nichts erfuhr.
Drei Tage später hatte Jensen genug gegrübelt.
Er rief Dr. Steenhus, den Tierarzt, an. Der Doktor wollte sich tot lachen als er von Johanns Plänen erfuhr. Dann merkte er, dass es Jensen bitter Ernst mit der Sache war und er lenkte ein.
Jensen, ich verstehe ja, dass ihre Lage im Moment nicht ganz unproblematisch ist, aber...“
Unproblematisch, Herr Doktor? Mir steht das Wasser bis zum Hals! Und wenn sie mir nich weiter helfen, dann...“

Aber Jensen, immer mit der Ruhe, ich weiß wirklich nicht, was ich in dieser Situation für Sie tun könnte.“
Operieren, Herr Doktor. Das könn` Sie für mich tun.“
Wie bitte?“
Ja, Herr Doktor, Sie haben doch alle Möglichkeiten. Sie könnten diese Silikon Dinger besorgen, zwölf Stück müssten das sein - dann eine Narkose, ein paar kleine Schnitte. Sie nähen das ganze zu - und fertig.“
Jensen, so einfach, wie Sie sich das vorstellen, geht das aber...“
Doch, Herr Doktor, so einfach geht das. Ich will das ja auch alles bezahlen. Wenn die ersten Ferkel da sind, kriegen sie ihren Anteil.“
Der Doktor dachte eine Weile nach, und da es eigentlich kein großes Risiko gab, willigte er schließlich ein.
Die Implantate besorgte er über einen Kollegen und schon am folgenden Samstag fuhr er zu Jensens Hof.
Klementine wurde betäubt, gründlich gereinigt und Steenhus machte sich ans Werk. Romeo wurde auf die Weide geschickt.
Die Operation verlief bis zur siebten Zitze völlig problemlos. Bei der Achten aber ließ die Konzentration des Arztes für einen kurzen Moment nach und er erwischte eine Arterie. Das Blut schoss ihm entgegen, und Klementine verlor eine ganze Menge davon, bis Steenhus den Schaden wieder behoben hatte. Die zweite Komplikation war wesentlich schwerwiegender.
Ob es sich dabei um einen mutierten Keim, oder um ein unbekanntes Virus gehandelt hatte, konnte man später nur vermuten.
Dr. Steenhus vernähte alle Wunden mit großer Sorgfalt, dann ging er mit Johann ins Haus, um sich zu waschen und einen Kaffee zu trinken.
Das hat ja wunderbar hingehauen, was Herr Doktor?“
Ja, wenn man mal von dem kleinen Unfall absieht, schon. Klementine hat eine Menge Blut verloren, aber in ein bis zwei Tagen ist sie wieder einigermaßen auf dem Damm.“
Dann trinken wir mal`n kleinen Schnaps auf den Schreck, was Herr Doktor?“
Aber nur einen wirklich Kleinen, bitte.“
Martha setzte frischen Kaffee auf, und es gab Schinkenbrote mit sauren Gürkchen.
Zwei Stunden später rafften sich die Männer auf, um zu sehen, ob Klementines Narkose schon nachgelassen hätte.
Der Stall war leer.
Wo ist sie hin? Sie dürfte noch gar nicht aufstehen können.“ sagte der Doktor.
Also, ich hab`die Stalltür zu gemacht - denk ich wenigstens. Was war das denn? Ham Sie das auch gehört?“
Merkwürdige Geräusche, die an wütende Dampfmaschinen erinnerten drangen von der Wiese herüber.
Das klingt nach kämpfenden Schweinen Johann. Wenn sie zu Romeo auf die Weide gelaufen ist, und der das Blut riecht....Der bringt sie um! Los Jensen, kommen sie. Schnell!“
Johann griff sich eine von den Mistgabeln und beide stürmten aus dem Stall mitten durch Marthas gepflegte Rabatten zur Schweinewiese.
Das Tor war zwei Meter hoch und sie fanden es ordentlich verschlossen. Der Zaun aus Stacheldraht hatte die gleiche Höhe und konnte von keinem Tier durchbrochen werden. Dennoch war Klementine drin.
Der Anblick, der sich den Männern bot, hätte gut in eine römische Arena gepasst. Ein monströser grauer Körper rollte über das zerstampfte Gras und ein zweiter, wesentlich kleiner und hellhäutiger als der Erste, klebte vor seinem Bauch. Die Luft war erfüllt von aufgewirbeltem Staub der in den Augen brannte und von einem grunzenden Gebrüll, das zu keinem irdischen Tier gehören konnte.
Verdammt, Doktor, der wird sie zerquetschen wie nichts. Das werde ich mir nicht ansehen! Dat blöde Mistvieh!“
Johann machte Anstalten über den Zaun zu steigen, aber der Doktor hielt ihn fest. „Nein, Johann, nein. Bleib hier, du kannst nichts für sie tun. Er würde dich genauso umbringen. Du hast keine Chance gegen einen wütenden Eber der Blut gerochen hat. Bleib` hier, sage ich!“
Aber wir müssen ihr doch helfen. Doktor, sie ist verletzt. Ich muss ihn nur ablenken....“
Steenhus legte ihm den Arm um die Schulter.
Nein Johann, lass den Dingen ihren Lauf. Wir können nichts tun.“
Der Staub um die kämpfenden Körper war inzwischen so dicht geworden, dass man nicht mehr ausmachen konnte,was wirklich geschah. Das grunzende Geschrei wurde unerträglich.
Doktor, er wird sie fressen, verdammt, er bringt sie um und dann frisst er sie auf!“ Jensen versuchte sich los zu reißen.
Johann, wir können nichts tun!“
Vielleicht frisst er sie auch bevor...“
Johann!“ Die Worte des Doktors hallten plötzlich unnatürlich laut über den Platz. Es herrschte Stille in der Arena. Nur ein erschöpftes Stöhnen drang durch den Dunst der feinen Staubteilchen.

Romeo lag auf dem Rücken und Klementine hockte wie eine nackte Tigerin auf seiner Brust. Sie sah ihm in die Augen, gab einen Laut von sich der fast schon zärtlich klang, dann schlug sie ihre Fänge tief in seinen Hals. Der massige Körper des Ebers zuckte als ob ihn Krämpfe schüttelten, aber er gab keinen Laut von sich. Das einzige was die Männer hörten war eine Art zufriedenes Schnurren von Klementine, und ein schlürfendes Schmatzen, dass ihnen eine Gänsehaut über den Rücken zog.
Mein Gott, das kann nicht sein...so was gibt es nicht“, entfuhr es dem Doktor. Klementine hob den Kopf und sah zu ihnen herüber.
Ihr Kopf war mit Blut verschmiert, aber sie selbst schien nicht verletzt zu sein. Sie gab einen knurrenden Laut von sich, stieg von Romeos geschundenem Körper herunter und trabte auf das Gatter zu, hinter dem die Männer standen.
Ihr Gang war geschmeidig wie der einer Raubkatze.
Sie wirkte nicht nur gesund und unverletzt, sondern auch größer und kräftiger, als sie es noch vor wenigen Stunden gewesen war. Unter ihrer Haut spannten sich Muskeln und Sehnen, die mit einem normalen Schwein nichts mehr gemein hatten. Die Männer standen wie hypnotisiert hinter dem Tor. Sie fühlten sich hinter dem massiven Gatter einigermaßen sicher, denn Schweine können nicht springen, aber ihre Nackenhaare standen trotzdem senkrecht in die Höhe. Klementine war noch etwa fünf Meter entfernt, als das ganze Ausmaß ihrer Veränderung erkennbar wurde. Es war nicht nur die enorme Muskulatur, sondern auch ihr Gebiss, das sowohl oben, als auch in ihrem Unterkiefer Finger- lange Reißzähne zeigte. Ihre Augen hatten ein leuchtendes Orange angenommen, und ihre Pupillen waren senkrechte Schlitze, wie man sie von Reptilien kennt.
Jensen griff den Arm des Arztes. „Los Doktor, weg von hier. Schnell!“
Was ist das Johann? Was ist mit ihr passiert...“ Steenhus bewegte sich keinen Millimeter. „Komm, Doktor!“ Klementine zog den Kopf zwischen die Schultern und machte einen Buckel.
..aber, sie kann hier doch nicht...“ sagte der Arzt.
Die Sau schnaufte und der Sand vor ihrer Schnauze staubte zu allen Seiten.
Johann schnappte Steenhus am Kragen und zerrte ihn vorwärts. „Los! los! los! Doktor schnell!“
Klementine sprang.
Der Zaun hätte auch noch einen knappen Meter höher sein können, so mühelos glitt sie über das Hindernis hinweg.
Die stolpernden Männer hatten keine Chance, ihr zu entkommen.
Klementine landete nur wenige Meter hinter ihnen, dann rannte sie die beiden einfach über den Haufen und stürmte den Gartenweg entlang. Jensen und Steenhus hockten benommen im Dreck und versuchten zu verstehen was ihnen gerade passiert war.
Das war knapp“, sagte Jensen und rappelte sich hoch. Er versuchte den Doktor wieder auf die Beine zu bringen, aber der streckte nur den Arm aus und machte große Augen. „Da, Jensen, sie kommt zurück!“
Er hatte recht.
Klementine kam in gestrecktem Galopp den Weg entlang und hielt auf die beiden zu. Sie bremste in einer Staubwolke und fiel die letzten Meter in einen lässigen Trab. Jensen griff sich eine Mistgabel die am Stall lehnte und hielt sie ihr entgegen.
Hau ab du Höllenbrut. Hau ab sag ich!“ Jensen stieß mit seiner Forke in ihre Richtung. Klementine wich geschmeidig den eisernen Zinken aus, dann schnappte sie sich den Stiel mit den Zähnen, und brauchte nur einen kurzen Ruck, um Jensen die Waffe zu entreißen. Es knackte und krachte, als der Stiel unter dem Druck ihrer Kiefer zersplitterte. Jensen lehnte sich an die Wand des Schuppens und erwartete mit geschlossenen Augen ihren Angriff.
Klementine wandte sich dem Doktor zu, der wenige Meter weiter im Staub saß. Ihre Augen glühten ihm in einem dunklen Gelb entgegen, und ihre Lefzen troffen vor Erwartung, als sie ihre Reißzähne entblößte. Der Doktor versuchte rückwärts zu flüchten, verhedderte sich aber in Marthas Bohnenranken . Klementine kam näher. Mit einer merkwürdigen Anmut, die einem Model auf dem Laufsteg gut gestanden hätte, und einem Hüftschwung, den man aus einer Anderen Branche kennt. Näher, noch näher.
Steenhus hörte auf, an den Ranken zu zerren und ergab sich in dem Gedanken seines letzten Stündleins. Alle sterben irgendwann, es wird schon nicht so schlimm werden, dachte er.
Klementine stand über ihm, und zwei ihrer straffen neuen Zitzen baumelten direkt vor seiner Nase. Sie schienen tatsächlich völlig verheilt zu sein, und die Narben waren so gut wie unsichtbar.
Gute Arbeit - war der letzte Gedanke des Doktors bevor er ohnmächtig wurde.

Das wütende Orange wich aus Klementines Augen und verwandelte sich in ein leuchtendes Blau. Sie schürzte die Lippen über dem Gesicht des Ohnmächtigen und gab ihm einen dicken, nassen, Blutschleim durchzogenen Kuss auf sein linkes Auge.
Danke, kleiner Doktor, kannst Dolly zu mir sagen“; flüsterte sie mit einem zärtlichen Grunzen. Dann warf sie sich herum, knurrte dem bleichen Johann noch einen letzten Gruß entgegen, und jagte den Gartenweg entlang. Sie hatte noch eine Rechnung zu begleichen - mit einem lächelnden Fleischermeister.

3 Kommentare:

  1. Hallo Janek,

    ich habe mich köstlich amüsiert :lol: wann geht es weiter.

    Liebe Grüße,
    Monika

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  2. Hallo Monika,
    danke für Deinen Besuch.
    Ich komme bei Dir natürlich auch gerne mal vorbei.
    Gruß
    Janek

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