Moin Leute. Ihr wisst ja: "Es ist ganz leicht das Rauchen aufzugeben. Ich habe es schon hundert mal geschafft." (Mark Twain)

Dienstag, 15. März 2011

Pretty Potato

Pretty potato


Es war Donnerstag in Nürnberg.
Anderswo war es natürlich auch Donnerstag, aber hier, auf dem Platz vor dem Rathaus, wurde der älteste Wochenmarkt Deutschlands abgehalten. Das war das Besondere.
Jede Woche, jeden Donnerstag, seit mehr als tausend Jahren.
Könige waren gekrönt und enthauptet worden, man hatte Päpste gewählt und zum Teufel gewünscht, Hexen verbrannt und Kriege jeder Art geführt.
Der Markt interessierte sich nicht dafür. Er öffnete um sieben und schloss um zwei. Das war Tradition und daran änderte sich nichts.

Die Gesichter der Händler waren vom Wetter zerfurcht, und ihre Stimmen waren ebenso rauh wie ihre Hände.
Sie priesen ihre Waren an, das Kleingeld klimperte, die Würstchen zischten auf dem Rost und das Federvieh hatte dunkle Vorahnungen.
Im Schatten, unter Hubers Obst - und Gemüsestand lag eine leicht verschrumpelte Kartoffel.
Sie hieß Cilena und war am Morgen vom Tisch gefallen.
Cilena genoß die Kühle und den Frieden.
Hier würde sie niemand behelligen. Keine Menschenhände würden sie heute befingern und dann als „zu alt“ zurück legen. Heute nicht.
Nein, heute war ein guter Tag, davon war sie überzeugt.

Pluto, ein reinrassiger Retrievermischling aus gutem Hause, hatte sein betrunkenes Herrchen im Biergarten sitzen gelassen und schnüffelte auf verschlungenen Pfaden allein durch das Gewimmel.
Ja, nichts roch so gut, wie ein Markttag im Sommer.
Vor allem unter und hinter den Ständen,da wo man nicht hin durfte. Bleiche Fischköpfe mit glasigen Augen gab es da, geronnenes Schweineblut und manchmal sogar eine grüne Leberwurst mit leichtem Schimmelpilz.
Plutos Nase konnte sich keinen anderen Himmel vorstellen.

Cilena hing ihren Gedanken nach.
Ach,es gab so vieles, worüber man als Kartoffel in mittleren Jahren nachsinnen musste.
Es waren nicht etwa Themen wie Falten oder Altersflecken, die sie beschäftigten. Oh nein,es waren die großen Fragen um die es ging.
Wie konnte man dem Hunger auf der Welt begegnen, ohne die Kartoffeln zu benachteiligen?
Wie konnte man den ewigen Konflikt mit den Menschen beilegen, die sich doch immer neue Gemeinheiten gegen ihr Volk ausdachten?
Wie konnte man so schaurige Begriffe wie: BRAT-Kartoffeln, Pommes FRITES ( eine französische Form der Barbarei), PELL-Kartoffeln oder Kartoffel-BREI ein für alle mal aus dem Wortschatz der Welt verbannen? Die Erinnerung an das Schicksal ihrer mehlig - kochenden Verwandtschaft jagte ihr gerade kalte Schauer über den Rücken,als sie sich einer feuchten Hundeschnauze gegenüber sah.
Ein Monstrum, ein Kartoffelfresser! Es hatte sie entdeckt.
Die schwarze Nase glänzte, schnüffelte und schnaubte, dass es Cilena durch durch Keim und Pelle ging.
Sie sah die Leberwurstreste zwischen seinen Reißzähnen, sah seine Zunge die lüstern aus dem Maul baumelte und roch seinen fauligen Atem.
Unter ihrer bescheidenen Schale war sie noch immer eine köstliche Knolle, und dieses Ding würde sie verschlingen, ganz bestimmt.
Die Welt wurde blendend hell, und Celina wurde ohnmächtig.

Pluto legte den Kopf schief und fragte sich, was er da denn wohl gefunden hatte. Gut riechen tat es jedenfalls nicht. Ein Ball vielleicht? Pluto war kein großer Denker, also stupste er seine Entdeckung probehalber mit der Nase an.
Diese Berührung kam einem Küsschen gleich und augenblicklich
machte es „FUMP!“
Ein Geräusch,wie das Platzen einer kolossalen Kaugummi Blase.
Der Obststand wurde in die Höhe gestemmt, Kisten polterten zu Boden, das Gestänge der Überdachung knickte ein und eine Welle von Südfrüchten brandete den Marktbesuchern entgegen.
Den Huberbauern, dem der Stand gehörte, haute es von den Füßen und er krachte rücklings in die Wassermelonen.
Aus den Trümmern erhob sich eine Gestalt.
Sie trug ein Dirndl so rot, wie ein Feuerwehrauto und die Reste einer Pampelmuse klebten in ihrem Haar.
Plutos Kuss hatte Cilena zurück verwandelt in das,was sie eigentlich war: Eine gut erhaltene Bäuerin von knapp fünfundfünfzig Jahren.
Ja, mi leckts am...“ entfuhr es dem Huberbauern. Er hatte sein Lebtag noch keine Erscheinung gehabt, aber dies war ganz bestimmt eine, das war sicher. Von einer höheren Macht hervorgerufen. Vom lieben Gott, oder vielleicht sogar vom Bayerischen Rundfunk.
Alois Huber lag in seinen Wassermelonen, bekam eine feuchte Hose und den Mund nicht wieder zu. So etwas Schönes wie Celina hatte er zuletzt im Kino gesehen.
Amors Pfeil steckte tief in Alois Stirn und es war ihm egal, dass die Liebe angeblich blind machen sollte,
Hauptsache der Rest funktionierte.

Sie wurden ein Paar, der Alois und die Celina, sie heirateten schon bald im Rathaus zu Nürnberg und Pluto bekam zur Belohnung
so viele Weißwürste und so viel Starkbier, dass er auf die Marmortreppen kotzte.
Alois und Cilena wurden glücklich miteinander, und nur manchmal verdunkelte eine kleine Wolke den Himmel über Cilenas Seligkeit,
denn Alois war ein großartiger Bursche und ein diensteifriger Liebhaber, aber der Pluto, der küsste eindeutig besser. 




 

Sonntag, 13. März 2011

Marlboro und Bauernrosen


Marlboro und Bauernrosen

Fast geräuschlos gleitet ein Nachtzug aus der Halle. 
Der Bahnsteig ist leer, bis auf mich. 
Ich stecke mir eine Zigarette an, und sehe ihm hinterher, die Schlusslichter werden kleiner. 
Es ist Samstag, der 23. August. Ein warmer Abendwind weht um meine Hosenbeine und spült den Duft von Bauernrosen und alten Zeitungen durch die Bahnhofshalle.
Die roten Lichter verschwinden in Dunst und Dunkelheit. 
Nur ein schabendes Pfeifen ab und zu, und das typische ta-tack ta-tack ist zu hören, wenn die Waggons über die Nahtstellen der Gleise fahren.
Ich rauchte nicht gern, es bekommt mir nicht.
Es macht mir Kopfschmerzen und ein gemeines Kratzen im Hals, aber es muss sein, der Cowboy auf dem Plakat gegenüber raucht schließlich auch.
So sieht ein richtiger Mann aus. Mit kleinen Fältchen um die Augen und kräftigen Händen. Mit breiten Schultern und einem Lächeln, das die Kerle auf Abstand hält, und den Damen Herzklopfen macht.
Die Anzeigentafel über mir rattert die nächsten Abfahrtszeiten herunter.
Es ist 23Uhr18.
Der ICE zeigt sich in der Einfahrt. 
Ein Pfeifen und Surren der Schienen begleitet seinen Auftritt. Ich werfe die Kippe auf den Boden, spurte los und renne einige Meter vor der Schnauze her - der Lokführer soll mich sehen. Der Mann im Führerhaus macht große Augen. Er tritt auf die Bremse, er zieht an den Hebeln, aber es ist zu spät. Noch ein, zwei große Schritte, dann werfe ich mich seitwärts, mitten hinein in das Kreischen der Räder.
Der Express berührt meine Brust nur flüchtig, dann begräbt er mich unter Tonnen von veröltem Stahl.
Ich schlage mit dem Hinterkopf, badambadam gegen die Schwellen – dann der Geruch von Urin und Teer - dann Dunkelheit.
Die Vorderachse zerreißt mir den linken Arm, ich werde quer über die Gleise geschleudert und einer der Radreifen schneidet meinen Oberkörper in zwei ungleiche Hälften - das war´s.

Ich komme jeden Abend hierher – immer pünktlich.
Ich stellte es mir vor, immer und immer wieder.
Dann wird mir schlecht.
Na du Held? Hast wohl`n schwachen Magen, wie?“
Jemand lacht, aber ich bin allein auf diesem Bahnsteig...
Du Möchtegern Selbstmörder. Schaffst es wieder nicht, was?“
Wer...?“ Ich sehe mich um, kann aber niemanden entdecken.
Hier drüben, Brillenschlange.“
Wo?“
Hier auf deinem Lieblingsplakat, Mensch.“
Es ist der Marlboro-Mann. Er bewegt sich nicht, aber er spricht mit mir.
An der Wand neben ihm lehnt eine Leiter, die wohl jemand vergessen hat. Meine Fantasie ist schuld, ich habe zu viel davon.
Fantasie? Wenn du Fantasie hättest, dann hättest du Micky Maus erfunden, oder so was“, sagt er.
Ich verstehe nicht...“
Wie, du verstehst mich nicht. Soll ich lauter reden, kleiner Mann? Hast wohl außer deinem Hirnschaden auch noch was mit den Ohren, wie?“
Sie reden mit mir“, sage ich.
Sehr richtig, gut erkannt. Ich rede mit dir, kleiner Mann. Und willst du auch wissen, warum ich das tue? “
Ja.“
Well, ich will es dir sagen, Shorty, oh ja, das will ich. Ich rede mit dir, weil du mich ankotzt! Weil ich mir dein langweiliges Theater hier jeden Abend ansehen muß. Deinen „Sterbender Schwan“- Schwachsinn.
Weil du hier auf meinen Bahnsteig kommst um dich umzubringen, aber zu feige bist, es wirklich zu tun, und...“
Ich bin nicht...“
Was bist du nicht?“
Ich bin nicht feige.“
Ach nein? Was bist du denn dann?“
Ich habe nur...“ sage ich.
Sein Lachen weht eine leere Chipstüte auf die Gleise.
Was hast du? Nichts hast du. Weil du kein Mann bist. Du bist gar nichts. Du bist nicht mal ein Mädchen.“
Ein Mädchen?“
Klar mein Freund. Wenn du ein Mann wärst, würdest du tun, was ein Mann tun muss. Wenn du ein Mädchen wärst, dann würdest du sagen: „Pfeif doch drauf“, und machen was du willst, aber so?“
Ich bin ein Mann“, sage ich.
Er lacht und hustet gleichzeitig.
Nein.“
Ich bin ein Mann.“
Bist du nicht.“
Ich werde es beweisen.“
Wie willst du es beweisen?“
Ich werde es tun.“
Was willst du tun, dich vor den Zug schmeißen?“
Ich werde es tun.“
Wann?“
Morgen...Morgen Abend.“
Morgen Abend?“
Ja.“
Gut, Shorty, ich werde hier sein.“

Ich drücke die Zigarette sorgfältig im Aschenbecher aus, dann steige ich mit steifen Knien die Treppe hinunter. Nur wenige Leute mit Koffern und Taschen kommen mir entgegen.
Mein Magen fühlte sich an wie ein Knoten aus rostigem Eisen, und hinter meinen Schläfen wütet ein wahnsinniger Trommler.
Bevor ich den Kiosk betrete, betrachte ich mein Spiegelbild in der Fensterscheibe.
Niemand trägt eine beige Windjacke, braune Hosen und schwarze Schnürschuhe die auf Hochglanz poliert sind, weil man seine Schuhe pflegen muss. Niemand. Der Marlboro Mann hat recht.

Oh hallo, guten Abend, der Herr. Einen kleinen Jack Daniels und einmal „Freiheit und Abenteuer“ wie üblich?“ Die Dame vom Kiosk ist freundlich, sie ist immer freundlich – zu jedem. Wie die Huren am Hafen.
Zigaretten habe ich noch genug, aber ich will ihr nicht widersprechen. Älteren Damen widerspricht man nicht.
Ja, bitte.“ sage ich.
Hier bitteschön, der Herr. Das macht dann neun Euro fünfzig.“
Ich hole mein Portemonnaie aus der Hosentasche, nehme einen neuen Zehner heraus und streiche ihn sorgfältig glatt, bevor ich ihn auf die Theke lege. Die Kasse klingelt.
So, hier sind fünfzig Cent zurück. Vielen Dank.“
Draußen in der Vorhalle singt ein Straßenmusikant: „Johnny be good...“ und drischt auf seine Gitarre ein. Ich sehe mich in dem Kiosk um.
Ach, den Filzstift da, den hätte ich gerne auch noch“, sage ich.
Diesen hier?“
Nein, den dicken roten da hinten.“
Diesen?“
Ja, bitte.“
Dann sind das nochmal drei-fünfzig, der Herr.“
Hier, bitteschön.“
Vielen Dank“, sagt die freundliche Dame, „ und einen schönen Abend noch.“
Ich nehme meine Sachen und verlasse den Laden.
Ein Mann muss tun, was ein Mann tun muss“, geht es mir durch den Kopf. „Go Johnny, go!“
Ich steige die altbekannten 68 Stufen zum Bahnsteig wieder hinauf.

Nanu, kleiner Mann, du wolltest doch erst Morgen kommen?“
Ich gehe auf das Plakat zu und greife in meine Jacke.
Was hast du da, Shorty? Was hast du vor?“
Ich nehme die Leiter und steige zu ihm hinauf, jetzt sehe ich direkt in sein strahlend blaues Auge.
Was soll das werden, nimm die Leiter da weg“, sagt er.
Ich nehme den Filzstift und male ihm eine große, runde, rote Nase.
Sehr sorgfältig, dann steige ich runter und stelle die Leiter zurück.
Was hast du gemacht? Verdammt, ich kann es nicht sehen. Los du kleine Schwuchtel, rede!“
Ein Lächeln zupft an meinen Mundwinkeln
Ich bin ein Mädchen“, sage ich,“und ich Pfeif` was drauf!“
Tauben flattern durch die Halle.

Ich habe schon lange nicht mehr so gelacht...