Moin Leute. Ihr wisst ja: "Es ist ganz leicht das Rauchen aufzugeben. Ich habe es schon hundert mal geschafft." (Mark Twain)

Donnerstag, 10. Februar 2011

Eisenherzchen

Eisenherzchen

Deine Oma ist doch nicht ganz von dieser Welt“; sagte Papa, wann immer von seiner Mutter die Rede war.
Deutlicher wurde er nicht, das hätte nicht zu seinem kultivierten Selbstbild gepasst.
Papa hatte fünfzig Paar Schuhe im Schrank, ließ sich sein Rasierwasser aus Finnland schicken und hatte einen Französischkurs besucht. Nur um im Restaurant angemessen bestellen zu können.

Oma war wie eine Butterblume an der Autobahn, wie eine Silberdistel mit sehr weichen Stacheln, und wie eine Laterne im Sturm, die kein Wind der Welt je ausblasen konnte.
Ich besuchte sie jeden Samstag von zwei bis fünf, wenn Papa mit seinem Auto in der Waschanlage war.
Den Stern auf Hochglanz bringen“, wie er sagte.
An solchen Samstagen waren wir „Mädels“ dann ganz unter uns.
Auch wenn ich erst knapp dreizehn, und Oma schon zweiundsiebzig war.
Papa ließ mich vor ihrem Gartentor aussteigen, und holte mich da auch wieder ab. Er kam nie mit rein.
Oma stand immer schon in der Tür - wie ein runder Felsen mit einer blauen Kittelschürze.
Hallo Anni“, sagte sie dann, und drückte mich an ihren Busen. Sie roch nach Zimt und reifen Äpfeln.
Manchmal gab es bei Oma Kekse und manchmal Topfkuchen.
An diesem Samstag hatte sie Waffeln für uns gebacken, und dazu gab es natürlich Tee mit Sahnewölkchen.
Mein Ostfriesentee“, sagte sie, „war das einzige, was ich damals an der Riviera wirklich vermisst habe.“
Wir hatten alte Fotos angesehen und dabei eine Postkarte mit einem Strand-Motiv entdeckt.
Hiwiera?“Ich hatte den Mund voller Waffeln und der Puderzucker staubte über den Küchentisch.
Ja, „Riviera“, das ist in der Toscana, in Italien. Als Opa noch lebte, waren wir da oft im Urlaub. In Bella Italia.“
Wie ist es in in Italien?“
Oma sah einen Moment lang in die Ferne, dann klaubte sie einige Krümel von ihrer Bluse, strich ihre Schürze glatt und erhob sich. „Erklären kann man das schlecht“, sagte sie,“aber ich kann es dir zeigen. Einen Moment.“
Sie stieg die Kellertreppe hinab und kam einige Minuten später mit allerlei Gerätschaften zurück.
Zuerst“, sagte sie,“ brauchen wir mal ganz viel Sonne. Mach mal die Augen zu.“
Oma stellte eine Höhensonne vor mich hin und schaltete sie ein. Es wurde sehr hell, und unglaublich warm auf meiner Haut. „Dann brauchen wir auf jeden Fall Wind. Wind gibt es da nämlich immer.“ Sie ging um den Tisch herum und platzierte einen Ventilator hinter der Lampe, und die Brise kühlte mein Gesicht.
So, jetzt halt mal diese Muschel an dein Ohr, da ist das Meeresrauschen drin.“
Sie hatte recht, es rauschte, und ich glaubte sogar das Geschrei der Möwen hören zu können.
Oma füllte warmes Wasser in eine Schüssel, dann zog sie mir Schuhe und Strümpfe aus. „Und nun die Füße in den Ozean, aber pass auf, dass dich nicht die Krebse beißen.“
Ich zog erschrocken die Knie an.
War ein Scherz, mein Schatz. Fehlt noch was? Oh ja, du brauchst unbedingt noch Sonnencreme und etwas Salz auf den Lippen. So, fertig. Jetzt bist du in Sestri Levante.“
Ich lächelte, es war wirklich so, als wäre ich ganz woanders.
Ein warmer Lufthauch strich durch mein Haar und meine Füße plantschten in den Weiten des Atlantik.
Das Meeresrauschen, der Geruch der Sonnenmilch und der salzige Geschmack auf meiner Zunge. Es war perfekt.
Oma, siehst du auch die großen Schiffe da am Horizont?“
Sie schloss die Augen: „Oh ja, die sehe ich.“
Und da rechts, die Kinder, die in den Wellen herumtoben?“
Ja, die auch.“
Und auch die flachen Häuser, die wie Lego Steine aussehen?“ „Ja.“

Am 12. September, es muss am frühen Morgen gewesen sein, kam der Schlaganfall. Er nahm ihre Freiheit, er nahm ihre Sprache und ließ nur ein schräges Lächeln übrig.
Am schlimmsten für mich war der beständige Strom von Tränen, der nicht aufhören wollte.
Eine ganz normale Folge der Erkrankung, und kein Anzeichen von Traurigkeit“, hatte dieser verlogene Stationsarzt mir erklärt. Ich wusste es besser.
Oma blieb nicht lange in der Gefangenschaft der Bettpfannen und Katheter, das hätte nicht zu ihr gepasst.

Papa hatte recht mit seiner Behauptung, dass Oma nicht von dieser Welt gewesen war, und am 23. Januar machte sie sich auf den Weg.
Bei ihrer Beerdigung gefror mir der Schnupfen an der Backe und ich kann mich nicht erinnern, jemals an einem kälteren Ort gewesen zu sein, aber meine Tränen behielt ich für mich.
Die habe ich ihnen nicht gegönnt.

Papas Geschäfte gingen zu der Zeit nicht besonders gut, und so hatte er Omas „Bruchbude“ schneller verkauft, als die Blumen auf ihrem Grab verwelken konnten.
Sentimentalitäten muss man sich leisten können“, sagte er.

Gestern ging ich durch die Elektro- Abteilung von unserem Supermarkt, ich brauchte einen neuen Wecker,als ich es plötzlich sah. Ein Sonderverkauf von Höhensonnen und Ventilatoren.
Ich ging darauf zu, und ich konnte nicht anders, als ganz sanft mit dem Zeigefinger über ihren Rand zu streichen.
Sie verkauften hier keine Muscheln mit Meeresrauschen und es roch auch nicht nach Waffeln, aber trotzdem war auf einmal alles wieder da.
Oma?“; flüsterte ich.
Ja, mein Schatz.“
Siehst du die Eisbude da hinten?“
Ja.“
Oma?“
Ja.“
Kriege ich einen Euro?“





7 Kommentare:

  1. Guten Morgen Janek,

    was für eine Geschichte!
    Sie geht direkt bis ins Herz - das hast du sauber hingekriegt.
    Wenn ich beide vergleiche, finde ich diese um Längen besser, viel gefühlvoller, einfach toll.

    Liebe Grüße, Lori

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  2. Sehr schöne Geschichte, Janek. Sie macht sehr nachdenklich. Liebe Grüße, Luisa

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  3. Eine sehr einfühlsame Geschichte, die mir das Wasser des Lebens in die Augen getrieben hat.

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  4. Hallo Lori,
    freut mich,dass Du hier gewesen bist, und das Dir meine neue Version gefällt.
    Gruß
    Janek

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  5. Hallo Luisa,
    danke fürs Lesen. Kennst du die andere Version im Forum?
    Gruß
    Janek

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  6. Hallo Monika,
    schön, dass du dich hier angemeldet hast.
    Ich hoffe, ich enttäusche dich nicht.

    Gruß
    Janek

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  7. Hallo Janek,
    ja, die kenne ich. Habe ich im Forum nichts dazu gesagt? Muss mal nachsehen!
    LG Luisa

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