Moin Leute. Ihr wisst ja: "Es ist ganz leicht das Rauchen aufzugeben. Ich habe es schon hundert mal geschafft." (Mark Twain)

Dienstag, 8. Februar 2011

Hubert


Hubert

Hubert klingelte zweimal.
Er hatte Schlüssel zu ihrer Wohnung, aber er wollte niemanden erschrecken.
Keine Antwort. 
Auf dem Klingelschild fehlte ihr Name, aber das war egal. 
Hubert hatte schöne braune Brötchen geholt, so, wie Mama sie gern hatte.
Die Blassen sind für Leute, die keine Zähne mehr haben“, sagte sie immer. Mama hatte ihre Zähne seit fünfundachtzig Jahren. 
Fast vollständig - das hatte kaum jemand.

Hubert hatte von Anfang an nur Schrott im Mund gehabt, ein Erbteil seines Vaters. 
Mama hatte die Angst vor den Bomben der Amis erlebt und Hubert den Bohrer von Dr. med. dent. Erlenhaus.
Die Lampe hatte seine Augen geblendet. Der Bohrer wurde von einem Riemen angetrieben, langsam, sehr langsam. Man konnte die Umdrehungen beinahe mitzählen. 
Durch die gelblichen Gardinen sah man auf den Bahndamm, aber das war egal, denn die Spannung galt dem Nerv, den Dr. Erlenhaus jeden Moment treffen würde.
Die Bomben der Amis trafen durch Zufall. Der Bohrer war präzise, auch wenn der Doktor nicht mehr gut sah und zitterte. 
Er traf ihn, er traf ihn jedes Mal. Erlenhaus war ein guter Zahnarzt. „Purzellin“, stand auf einem Plastikspender, der auf einem Tischen stand und an den Hubert sich selbst nach vierzig Jahren noch gut erinnern konnte.
Es gibt Human Mediziner und es gibt Zahnärzte,“ hatte Papa einmal gesagt, nachdem er wieder lächeln konnte. 
Man hatte ihm die Parodontose mit einem glühenden Draht weg gebrannt und er hatte seinen Mund an diesem Tag lange mit kaltem Doppelkorn spülen müssen, bevor er endlich schlafen konnte. Dentist Bärmann, (nicht einmal ein Dr.), ein Mensch mit Unterarmen wie ein Pferdeschlächter und mit einem Gemüt,dem dieser Vergleich nichts ausgemacht hätte, hatte ihm diese Kur verpasst. 
„Mach` jetzt das verdammte Maul auf!“ hatte er Hubert einmal angebrüllt. Sie wechselten daraufhin zu Dr. Erlenhaus. „Der ist nett und vorsichtig,“ hatte Mama gesagt.
Papa wechselte nicht. 
Ihm hatten die Russen im Krieg den halben Arsch weg geschossen. Papa konnte eine Menge aushalten.
Von Omas Tod einmal abgesehen, aber das war erst viel später.         Bärmann hatte mit seinem „Fleischerladen“ gutes Geld verdient. 
Er war einer der wenigen, die sich schon damals eine neue Frau, ein rot-weißes Ledersofa und einen Farbfernseher leisten konnten. Huberts Eltern hatten einen Laden für Radios und Fernseher, aber ein eigenes Gerät hatten sie nicht.
Dentist Bärmann war ein guter Kunde, und wem man einen teuren Fernseher verkauft hatte, dem konnte man wahrscheinlich demnächst auch eine neue Musiktruhe liefern. 
Papa hatte Familie und ihm waren die Spielregeln bekannt.

Man hatte ihn mit siebzehn eingezogen. Ein hübscher Junge, Hubert hatte ein Foto von ihm gesehen. 
„Hübsches Menschenmaterial“ für einen kurzbeinigen Österreicher, der mit seinen bekloppten und verkrüppelten Kumpanen eine arische Weltherrschaft angestrebt hatte.
Ein Granatsplitter? Ein Schrapnell? Keine Ahnung!
Papa war in einem italienischen Lazarett aufgewacht und es dauerte lange, bis ihn eine Schwester überreden konnte etwas zu essen und ein bisschen italienisch zu lernen. 
Seine Liebe zu „Bella Italia“ sollte bis ans Ende seiner Tage reichen.
Sein Bruder Heinrich hatte weniger Glück. Er verbrannte in einem Schützenpanzer vor Stalingrad. 
Die Behörden führten ihn als „vermisst“. Das klang besser.

Mama saß immer auf einem Stuhl an der Wand des Behandlungszimmers, hinter Hubert. Sie drückte ihm die Daumen. Dahinten, am Ende der Welt, wo man selbst keine Löcher in den Zähnen hat, tut man das, auch wenn man nicht weiß warum.
Wenn ich als Kind mal nachmittags lange Weile hatte,“ erzählte Mama oft, „ dann bin ich freiwillig zum Zahnarzt gegangen. Der hat dann gefragt, ob mir was wehtut, aber mir tat nie was weh. Ich hatte keine Löcher, oder so was. Der hat mir dann ein paar Bonbons geschenkt und ich bin nach hause gehüpft. Und wenn meine Mama, die Oma, mich dann gefragt hat, wo ich gewesen bin, hab` ich 
gesagt : „Bei Dr. von Gahlen.“ 
Mama erzählte diese Geschichte oft.
Mama war nicht Bösartig - nur mit Erfahrungslosigkeit gesegnet.
Es gab andere Dinge, die sie schlimm erwischen sollten.
Huberts Zähne erwischte es zum ersten mal in Omas Bett.
Er war fünf und gerade aus dem Winterurlaub mit seinem Vater zurück, und sie machten Zwischenstation bei den Großeltern.
An diesem Morgen hatte Oma nach dem Aufstehen die Fenster weit geöffnet und dann die Federbetten zum lüften über das Fußende des Bettes geworfen. 
Hubert mochte Omas Bett, weil es quietschte und knarrte, wenn man darauf herum sprang. 
Oma mochte „frische Luft“ und „gute Seife“, wie sie sagte. 
Sie sagte auch „gute Butter“, und „Bohnenkaffee“, wenn sie von ganz normalem Kaffee sprach.
Oma hatte etwas gegen Filtertüten. Sie brühte das Kaffeepulver lieber nach guter alter Sitte,der ganze Hausflur duftete danach und gab ihr recht.
Hubert gefielen die Federbetten über dem Fußende. Es wäre bestimmt so, als ob man auf einer Wolke landete. Man musste nur genügend Schwung holen, die Arme ausbreiten und lächeln. Die Betten hatte ein Tischler namens Koschinski aus massiver Eiche gebaut.
Auf seinem Einschulungsfoto sieht man Hubert, und man sieht seine Milchzähne. Alle schwarz. Wäre er berühmt geworden, man hätte das Fußteil mit dem Zahnabdruck bestimmt ausgestellt.
Er lebte mit seinen schwarzen Zähnen. Die würden bald ausfallen, und platz machen für die Neuen. 
Die anderen Kinder waren neidisch, sie glaubten, es käme von all den Süßigkeiten, die er immer essen durfte. 
Hubert erzählte niemandem die wahre Geschichte, warum auch? 
Die hässlichen kleinen Dinger fielen tatsächlich bald aus. 
Hubert warf sie weg. Es gab niemanden, der sie hätte aufbewahren wollen. Nicht einmal die Zahnfee.

Jemand tippte Hubert auf die Schulter.
Herr Lehmann? Gut, das ich Sie treffe, ich brauche den Schlüssel." Hausmeister Krüsel war ein freunlicher Mensch. "Herr Lehmann, sie wissen, dass wir die Wohnung ihrer Mutter geräumt haben? Das wissen sie doch...“ Er drehte Hubert vorsichtig an der Schulter zu sich herum.
Herr Lehmann, können sie mich verstehen? Ihre Mutter ist vor drei Monaten verstorben, das wissen sie doch, ...? Ich brauche den Wohnungsschlüssel. Herr Lehmann...?“
Hubert sah ihn an.
"Mögen Sie braune Brötchen?"





2 Kommentare:

  1. Hallo Janek,

    stellenweise habe ich mich köstlich amüsiert. Die einer oder andere Geschichte könnte auch in meiner Familie passiert sein :-)

    Regnerische Grüße,
    Monika

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  2. Hallo Monika,
    schön, dass du hier gewesen bist.
    Gruß
    Janek

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