Moin Leute. Ihr wisst ja: "Es ist ganz leicht das Rauchen aufzugeben. Ich habe es schon hundert mal geschafft." (Mark Twain)

Montag, 30. Mai 2011

EinTunnel nach Amerika

Ein Tunnel nach Amerika

Seht mal, da drüben“, Tante Gertrud streckte den Arm aus, und ihr kräftiger Zeigefinger deutete über das Meer. „Da hinten, da ist die Ostzone. Da wohnen die... Kommunisten.“ Sie verzog den Mund, als ob sie auf eine faule Miesmuschel gebissen hätte.
Wolli und ich kniffen die Augen zusammen und versuchten etwas zu erkennen, was uns aber nicht gelang.
Wir nickten trotzdem.
Sind die Kommunisten gefährlich, Tante Gerda?“
Sie beugte sich zu mir herunter. „Oh ja, Janek. Die vergewaltigen Frauen, brennen Häuser nieder und stehlen Wasserhähne. Aber ihr braucht keine Angst zu haben, sie dürfen hier nicht rüber. Die werden sofort erschossen, wenn sie es versuchen.“
Erschossen? Von uns?“
Sie richtete sich wieder auf, und ihr Schatten breitete eine angenehme Kühle über uns.
Die erschießen sich gegenseitig.“
Wolli und ich sahen uns an. 
Mit unseren sechs Jahren hatten wir keine Ahnung wovon sie sprach, aber wir waren tief beeindruckt, dass wir in einer so abenteuerlichen Gegend Urlaub machen durften.

Es war im Sommer 1966 und wir waren in Scharbeutz an der Ostsee.
Meine Tante Gertrud, Wolli, der eigentlich Wolfgang hieß, und ich.
Wolli trug eine Kassenbrille,die ihn leicht bescheuert aussehen ließ, und er lebte in Tante Gertruds Kinderheim. Sie war da nur angestellt, aber dass es „ihr“ Kinderheim war, daran hätte niemand zu zweifeln gewagt. 
Sie hatte 15 Kinder in ihrer Obhut, wenigstens zwei (einfache) Erzieherinnen unter sich, und ihr Haar zu einem festen Knoten gebunden.

Wolli war mit drei Jahren vom Jugendamt bei Tante Gertrud einquartiert worden, und im Laufe der Zeit hatte er sich einen besonderen Platz vor dem Fernseher und in ihrem Herzen erkämpft. Darum durfte er auch mit ihr in den Urlaub. 
Mich hatte sie mitgenommen, weil meine Eltern gerade erst ein altes Haus gekauft hatten und jetzt, nach Papas erstem Herzinfarkt, jede Mark zwei mal umdrehen mussten.

In Scharbeutz gab es die Promenade mit ein paar Andenkenbuden und Restaurants. Ein Kino, dass „Tarzan“ mit Johnny Weissmüller zeigte, einige Pensionen und den weißen Steg, der bis heute in die Ostsee ragt.

Wolli und ich bauten enorme Sandburgen, und waren schon nach wenigen Tagen von all den anderen braungebrannten Strandjungs mit strohblonden Haaren nicht mehr zu unterscheiden. 
Wir hatten Freischwimmer - Abzeichen an den Badehosen, der Hosenbund reichte uns hoch über den Nabel und durch die Hosenbeine pfiff der Wind. 
Tante Gerda bewohnte mit Kopftuch, Sonnenbrille und Sommerkleid den Strandkorb. Im Badeanzug habe ich sie leider nie gesehen. 
Sie las anspruchsvolle Boulevardblätter oder döste dem nächsten Milchreis entgegen, während wir Löcher buddelten, die fast bis nach Amerika reichten. 
Wir zerquetschten glibberige Ohrenquallen mit unseren nackten Füßen und hatten Sorge, dass uns eine von ihren berüchtigten Verwandten beim baden erwischen könnte. „Feuerquallen werden manchmal so groß wie LKW Reifen, und sie mögen blonde Jungen“, hatte uns ein freundlicher Eisverkäufer erklärt.
Eines Tages schlummerte die Tante in ihrem Strandkorb, und ich verwandelte mich in `rote Feder`, einen mutigen Strandindianer, der sich unbemerkt anschlich und ihre Sandalen „ausborgte“. 
Ich musste herausfinden, ob das Schuhwerk nicht nur über, sondern auch unter Wasser zu gebrauchen war. Es funktionierte tadellos.
Die Sandalen waren mir zu groß, aber man konnte damit trotzdem prima durchs Wasser waten, und der Sand kitzelte meine Zehen.
Wolli schaute überrascht, sagte aber nichts.
Ich war über meinen gelungenen Versuch hellauf begeistert.
Tante Gerda“, rief ich. „Hallo, Tante Gerda! Sieh mal, ich hab
Taucherschuhe.“ Wollis Augen wurden groß wie Kamm - Muscheln.
Die Tante schaute auf. 
Sie sah sich auf dem Boden um, stemmte sich dann mit Schwung aus dem Strandkorb hoch und stapfte entschlossen auf uns zu. Wolli verkroch sich in unserer Baustelle.

Der Held des Tages, stand bis zu den Knöcheln im Wasser und sah ihr in freudiger Erwartung entgegen. „Sieh mal Tante, richtige Taucher...“ „KLATSCH!“ 
Die Ohrfeige traf mit einiger Wucht meine linke Wange. Unerwartet, unverdient und schmerzhaft.
Du spinnst ja wohl,“ sagte sie und fischte meine Erfindung aus dem Wasser. Ohne ein weiteres Wort drehte sie sich um und stampfte mit geschürzten Röcken zurück in Richtung Strandkorb.
Wolli tauchte wie ein Maulwurf aus seiner Kuhle auf.
Ich hielt mir die heiße Backe, aber heulen tat ich nicht.
Er sah mich halb mitfühlend, halb spöttisch von der Seite an.
Du solltest eigentlich wissen, dass man dem Lieben Gott nicht die Sandalen klaut,“ sagte sein Blick.
Ich nahm meine Schaufel und machte mich wieder an an die Arbeit.
Unser Tunnel muss fertig werden“, sagte ich, „ vielleicht kommen die Kommunisten ja doch hier rüber, dann können wir abhauen.“
Meinst du echt, die kommen?“
Ist alles möglich.“
Der Tunnel ist ganz schön eng, die Tante wird da nicht durchpassen“, sagte Wolli.
Ich sah ihn an und zuckte mit den Schultern.
Wolli lächelte.



Donnerstag, 26. Mai 2011

Waffenbrüder

Waffenbrüder


Wer behauptet, ich sei ein Militarist, nur weil ich bei der Bundeswehr gewesen bin, der ist ein Lügner, denn ich habe immerhin einen sehr persönlichen Beitrag zur Abrüstung des Westens geleistet.
Wer mich dagegen als Feigling bezeichnet und sagt, dass ich meinem Vaterland nicht hätte dienen wollen, der lügt ebenfalls.
Gewollt habe ich, soviel steht fest.

Die Jungs vom Kreiswehrersatzamt hatten mir eine freundliche Einladung geschickt mit der Aufschrift „Persönlich“.
Ein sehr offizielles Dokument.
Sie hielten große Stücke von mir und, obwohl sie mich doch gar nicht richtig kannten, waren sie der Meinung, so stand es da geschrieben, ich würde ganz hervorragend zu ihrer Truppe passen und sollte doch mal vorbei schauen.
Ich fand das nett von denen, dass sie an mich gedacht hatten, aber ich war mir nicht sicher, ob ich ihre Erwartungen auch erfüllen konnte.
Ich erkundigte mich erst mal bei meinen Kumpels am Bahnhof, was denn da wohl so alles auf mich zu kommen würde.
Bruno sagte: „ Bundeswehr ist gut. Bundeswehr muss sein - und vor allem, du hast nen lauen Job da. Du läufst ein bisschen durch die Gegend, schmeißt dich ab und zu mal in den Dreck, aber dann ist auch wieder gut – dann ist Mittag.
Dann machst du ein Schläfchen, danach noch zwei, drei Kniebeugen bis zum Kaffetrinken; anschließend schießt du ein paar Löcher in einen Pappkameraden, danach gibts Abendbrot - deine Vorgesetzten klopfen dir auf die Schulter, weil du alles so gut gemacht hast und schon geht es ab ins Bettchen.“
Genau“, sagte Gerhard, „ da kann man nicht meckern, der „Bund“ das ist schon eine schöne Zeit. Also wenn ich mich so zurück erinnere,...Am Wochenende wird gesoffen, oder ein bisschen mit dem Zug gefahren nach Hause, wenn man will.
Und wenn man nicht will, bleibt man eben in der Kaserne, da ist auch ein großer Zaun drum, da braucht man keine Angst zu haben, dass man vielleicht überfallen wird oder so.“
Das klang nicht schlecht: Drei Mahlzeiten am Tag, ab und zu mal ein bisschen spazieren gehen oder Turnen, das würde ich schon schaffen – ich bin nicht für Turnen, aber egal, man konnte ja mal guten Willen zeigen.
Gibt`s da auch Weiber?“ fragte ich.
Klar“, sagte Bruno, „ jede Menge. Jeden Dienstgrad den du haben willst, und am Wochenende gehst du in die Dorfdisco. Da warten sie schon auf die schicken Kerle in Uniform.“
Da stehen die drauf“, sagte Gerd und grinste mir mit seinen fehlenden Schneidezähnen entgegen, „ die haben alle „Top Gun“ gesehen.“
Und Bier?“ sagte ich „ich meine Bier - gibt es da denn auch ordentlich was zu trinken? Ist das im Preis mit drin, oder muss man das selber mitbringen?“
Ja, also...“ sagte Bruno, „ also Bier gibt es auch,...am Wochenende in der Kneipe. In der Kaserne eigentlich nicht so regelmäßig.“
Das gefiel mir nicht - was soll man mit Mädchen, wenn man kein Bier hat; dann traut man sich doch nicht.
Ich meine, wenn ich schon für mein Vaterland Kniebeugen machen soll und auf Pappkameraden schießen und noch allerhand andere Mätzchen machen, dann können die doch eigentlich auch für Bier sorgen, oder?
Das ist doch nicht zu viel verlangt.
Mir kamen echte Zweifel, ob das denn alles so das richtige für mich sein konnte.
Ich dachte mir: Nein, vielleicht werde ich den hohen Erwartungen dieser Leute ja doch nicht gerecht – und dann? Dann ist es ihnen nachher peinlich, und dann müssen sie eingestehen, dass sie sich mit mir vertan haben.
Der Gedanke war mir unangenehm.
Nee, da wollte doch lieber meinen Platz jemandem überlassen, der weniger Wert auf Bier mit Mädchen legt als ich, und vielleicht auch bessere Liegestütze zustande kriegt und auch noch etwas genauer auf den Pappkameraden schießen kann.
Erst hatte ich gedacht, ich schicke denen eine Karte, wünsche ihnen alles Gute, und versuche zu erklären, dass ich aus persönlichen Gründen lieber doch zu Hause bleiben will.
Aber ich hatte keinen Stift im Haus, und darum ließ ich es sein.
Ich dachte mir es wäre besser, wenn das ganze einfach in Vergessenheit geraten würde.
Weil: „Tote Hunde schlafen nicht“, wie man so sagt.

Eines Tages standen sie vor meiner Tür und hielten mir einen Zettel unter die Nase.
Sie sagten, sie wären die Feldjäger , und ich soll mitkommen.
Das war so gegen halb elf am Morgen, ich meine da ist man ja noch nicht mal wach - aber sie ließen sich nicht erweichen.
Ich fragte mich natürlich, was die Feldjäger eigentlich mitten in der Stadt zu suchen haben, sollen sie doch auf dem Feld jagen, wenn sie denn unbedingt jagen wollen - aber nein, sie wollten mich mitnehmen, darum waren sie hier; und in die Stadt durften sie auch.
Die grünen Männer waren nicht wirklich unfreundlich, ich durfte mich sogar noch anziehen und rasieren und ein paar Kleinigkeiten einpacken.
Sie waren höflich, aber bestimmt - das einzige was mich störte waren die Handschellen; zumal die Nachbarn dann auch alle gleich aus den Fenstern geguckt haben.
Die haben mir hinterher gepfiffen und einer hat gerufen: „Na du versoffener Sack, jetzt ham se dich doch am Arsch gekriegt. Verteidige mal schön unsern Plattenbau, und zeig mal was du drauf hast.“
Ich fand das nicht nett, muss ich ehrlich sagen – zumal ich nicht mehr trinke als jeder andere.
Die Herren, die mich abführten, ließen sich davon nicht weiter beirren und brachten mich in ihrem Lieferwagen zum Stabsarzt.
Der sollte mich auf Herz und Nieren prüfen.
Da hab ich ihm dann gesagt, also das Herz ist gut, die Nieren wüsste ich nicht, das könnte schon sein, die hätten ja auch immer ordentlich zu tun...
Na, dann sollte ich mal eine Urinprobe abgeben, und er gab mir einen kleinen Messbecher und ich dachte – gut, tu ich ihm den Gefallen. Ich meine, man will ja auch niemanden verärgern.
Ich gab mir richtig Mühe, und es war dann nur etwas problematisch das volle Gläschen ohne zu verschütten auf seinem Schreibtisch abzustellen - ging aber.
Der Doktor hatte da schon mehr Schwierigkeiten, das Glas ohne zu kleckern wieder weg zu nehmen, aber da konnte ich ja nichts dafür.
Wenn der am Morgen nicht zittern will, dann soll er am Abend eben nicht so viel saufen, dachte ich.
Er klopfte so an mir herum und prüfte die Reflexe, er guckte mir in den Hals und auch wo anders – das ging mir etwas zu schnell, ich meine, wir waren uns ja kaum vorgestellt worden.
Er stellte fest, dass ich Plattfüße habe und nahm mir Blut ab, was ich übertrieben fand.
Ein bisschen zu fett“, sagte er dann. „ aber das kriegen wir schon.“
Das war eine Bemerkung, die er sich hätte schenken können.
Dann saß ich auf dem Flur in Unterwäsche und Socken und wartete auf das Ergebnis der Untersuchung.
An einem Schreibtisch gegenüber saß eine süße Maus mit einem weißen Kittel.
Die grinst mich an und sagt: „ Na, wo willst denn du mal hin?“
Hin?“ sag ich, „ wo soll ich hin wollen, ich will bald wieder nach Hause. Ich muss mal ein Schläfchen machen, die haben mich mitten in der Nacht aus dem Bett geholt.“
Nein“, sagt sie , „ich meine zu welcher Einheit du willst, zu welcher Waffengattung.“
Darüber hatte ich mir noch nie Gedanken gemacht.
Ich sag: „Ja, was ist denn da so zu empfehlen?“
Marine“, sagt sie, „die Marine hat die schönsten Uniformen. Die sehen wirklich schmuck aus, die Bengels.“ Sie ließ eine Kaugummiblase zerplatzen.
Nein“, sag ich, „ Marine, die haben doch mit Schiffen zu tun, oder?“
Ja“, sagt sie, „ Marine hat mit Schiffen zu tun..“
Nee“, sag ich, „ das is nix für mich, da wird mir schlecht. Das Geschaukel vertrage ich nicht.“
Na, dann vielleicht U-Boot“, sagt sie, „die schaukeln nicht. Und vor allem jetzt, wo es doch die Neuen mit Atom - Antrieb gibt.“
Ich sag: „ U-Boot? - das ist doch unter Wasser.“
Ja“, sagt sie, „ U-Boot hat damit zu tun. Das ist auch unter Wasser.“
Nein, nein“, sag ich, „ unter Wasser, da...da kriege ich ja Budenangst. das geht ganz bestimmt nicht. Ich kann ja auch gar nicht schwimmen.“
Und dann zählte sie mir alle Möglichkeiten auf, die man als aufstrebender Waffenträger so haben kann, und jede Ausbildung, und wie spannend das doch alles ist. Aber wir kamen nicht so recht überein, denn es gab an allem etwas, das mir nicht so richtig liegen wollte. Am Ende blieben nur noch die Panzer.
Panzerfahrer, sagte sie, das würde es doch sein.
Panzer! damit durch`s Gelände heizen, das war doch abenteuerlich und das konnte sie sich gut für mich vorstellen; so mit dem „Leopard“, oder mit dem „Ozelot“ , oder dem „Tiger“ die Heide verwüsten, das war doch besser als Paris – Dakkar.
Was immer das auch heißen mochte.
Sie lächelte mich so bezaubernd an, dass ich sagte: „ Ja, das könnten wir versuchen.
Doch, doch...das könnte vielleicht was sein.“
Und so unterschrieb ich auf dem Zettel, und kreuzte an: Panzerfahrer.
Ich hatte schon immer ein besonderes Faible für Kettenfahrzeuge gehabt, und „Panzer - Fahrer“ war ja auch etwas, das mit „fahren“ zu tun hatte, und fahren fand ich immer noch besser als „laufen“ oder „schwimmen“.
Allerdings hoffte ich im Stillen immer noch auf ein medizinisches Ergebnis, dass mich für untauglich erklärte – große Maschinen hin oder her.
Aber zu meiner Überraschung war ich tauglich.
Gut, dachte ich, du bist gesund, das ist schon mal nicht schlecht – dann brachten sie mich in die Kaserne.
Da war es eigentlich... auch nicht so schön,wie ich gedacht hatte; ich musste mit noch fünf anderen auf einem Zimmer schlafen und das war ich nicht gewöhnt.
Es gab da gar keine Frauen, wie Bruno gesagt hatte, es gab roten Tee, und vor allem standen diese Leute immer in aller Herrgotts-Frühe auf.
Das ging ja gar nicht.
Ich stellte fest: Mein Kumpel hatten mich belogen.
Es war viel mehr Laufen, als er gesagt hatte. Viel mehr Liegestütze, als er gesagt hatte, und das Essen war auch für die Hose.
Nicht besser als meine Ravioli zu Hause, und nicht mal richtig warm.
Es dauerte vier Tage - doch, so lange gab ich ihnen.
Ich brachte ein paar konstruktive Verbesserungsvorschläge ein, aber es änderte sich nichts, und so ging ich am fünften Tag zu meinem Vorgesetzten und sagte: „ Hallo, Herr Major...“
Können Sie nicht anständig grüßen?“ sagte der.
Ich sagte: „Moin“, das gefiel ihm aber auch nicht.
Dann versuchte ich es ihm klar zu machen, und sagte: „ Es ist hier leider doch nicht wirklich so schön, wie ich es mir vorgestellt habe, seien sie da nicht beleidigt; aber ich möchte dann doch lieber den Dienst quittieren – die Probezeit ist ja auch noch nicht vorbei...“
Da schnauzt der mich an: „Stellen sie sich mal gerade hin. Was faseln Sie da für einen Unsinn? Sind Sie denn besoffen, Mann?“
Ich sag: „ Nein, das ist ja gerade das Problem.“
Gehen Sie sofort auf ihre Stube, sagt er, gleich ist Appell und wenn Sie da nicht pünktlich auftauchen Soldat, dann werde ich mit ihrem Arsch den Boden wischen...und was er nicht noch alles erzählte.
Also, er hörte mir gar nicht wirklich zu - er verstand einfach mein Problem nicht.
Das betrübte mich dann doch.
Und so vergingen die Tage, und wir machten Leibesübungen, krochen durch den Dreck, kletterten über Zäune und machten uns die Hosen kaputt - als ob so was irgendeinen Feind beeindrucken konnte. Vielleicht hätten die sich ja tot gelacht, wenn sie uns gesehen hätten, ich weiß es nicht.
Dann kamen die Schießübungen, die waren auch nicht ganz so erfolgreich, wie es der der Ausbilder gern gesehen hätte, aber das lag ganz klar am Gewehr.
Das musste man jeden Abend auseinander nehmen und auch wieder zusammensetzen; ich meine, welcher Apparat der was taugt braucht so viel Aufmerksamkeit?
Da haben die Chinesen euch aber einen ziemlichen Schrott angedreht, sagte ich zum Spieß – und ging zwei Tage in den Bau.
Danach behauptete ich, dass meine schlechten Ergebnisse bestimmt mit meinen pazifistischen Genen zu tun hatten - unbewusst wollte ich wohl nicht mal dem Pappkameraden weh tun. Der Armeepsychiater glaubte das auch.
Unser bester Schütze war der Peter, Peter Johannsen, der holte mit einem Schuss mehr Ringe, als ich mit dem ganzen Magazin.
Eines Tages sag ich zu ihm: „ Johannsen, warum schießt du eigentlich so gut?“
Das ist ganz einfach“ , sagt er, „ ich stelle mir einfach vor, das da ist mein größter Feind. Na, und dann geb ich`s ihm ordentlich.“
Was für ein Feind?“
Na, ein Russe vielleicht.“
Ich hab nichts gegen Russen.“
Dann ein Chinese, die Rote Gefahr.“
Ich hab nichts gegen Chinesen.“
Dann eben der Typ, der deine Schwester geschwängert hat.“
Ich bin Einzelkind.“
Vielleicht ist es der Schweinehund, der deine Freundin vergewaltigen wollte.“
Ich habe keine Freundin.“
Dann weiß ich nichts mehr“, sagte Peter.
Ich schoss weiterhin daneben.


Eines Tages führte man uns die Panzer vor, man zeigte uns unseren neuen Arbeitsplatz.
So, sagten sie, da steigt mal ein, dann werdet ihr eingewiesen – und dann geht es auch bald los. Und alle waren sehr aufgeregt – ich erst nicht, aber als ich durch die enge Luke sollte, dann doch.
Ich fragte, ob ich nicht vielleicht auch außen mitfahren könnte, weil es doch etwas wenig Platz für so viele Leute da drinnen war - aber nein, ich musste durch die Luke, und ich musste da rein, und da war es dunkel und laut und sehr warm und roch nach Füßen.
Ich konnte mir nicht vorstellen, wie man sich in diesem Ding für längere Zeit wohlfühlen sollte.
Man konnte auch kein Fenster aufmachen, es gab da keine Fenster.
Ein Vorschlag, den ich bei Gelegenheit dann mal meinem Vorgesetzten unterbreiten wollte: Fenster einbauen.
Dann sieht man auch viel mehr, wie soll man denn richtig schießen, wenn man nichts sehen kann? Die Jungs hatten das nicht drauf, die hatten im Detail doch echt gepfuscht.
Von der ganzen Einweisung blieb mir eigentlich nur im Gedächtnis, dass der Ausbilder auf eine große, rote Lampe zeigte und sagte: „ Diese Lampe darf nicht aufleuchten, dann wird der Motor zu heiß. Und wenn der Motor zu heiß wird, dann geht der kaputt. Und ein Gerät wie dieses hier, kostet fünf Millionen, das ist viel Geld – soviel verdient ihr in eurem ganzen Leben nicht. Also Leute, immer schön darauf achten, auf die rote Lampe.“
Ich weiß auch nicht, woran es gelegen hat, ob mein innerer Pazifist da wieder am Werk war, jedenfalls kam vierzehn Tage später das Manöver und wir durften dann auch mit unseren neuen Panzern ins Gelände.
Und ich dachte : Gut, geben wir mal ordentlich Gas, damit wir das hier auch bald mal hinter uns haben. Und tatsächlich, da leuchtete die rote Lampe auf und ich meinte wohl im Eifer des Gefechts, das sei der Hinweis darauf, dass der Motor seine Betriebstemperatur erreicht hatte und man jetzt nochmal richtig beschleunigen durfte – was ich dann auch tat.
Es war eine beachtlich schnelle Runde, die wir da drehten, und dann gab es einen ganz gewaltigen Knall und es war lauter schwarzer Rauch um uns herum.
Wir sind getroffen!“ rief ich, „wir sind getroffen. Die scheiß Russen haben uns erwischt, (oder wer immer der Feind auch gerade war).“
Ach, was für ein Ärger.
Wir zwängten uns durch die Luke nach draußen, husteten und spuckten auf den Boden. Ich schüttelte den Kopf und sagte zu meinem Ausbilder, der im Laufschritt auf uns zu gestakst kam: „ Entschuldigen Sie, das war ein Treffer. Das darf nicht vorkommen. Haben unser Bestes getan, sind extra nochmal etwas schneller in die letzte Runde gegangen, hat nichts genützt – Feind hat uns leider trotzdem erwischt. Melde gehorsamst.“
Es gab danach eine Gerichtsverhandlung und man unterstellte mir, ich hätte mit Absicht den Panzer kaputt gemacht, was natürlich in keinster Weise stimmte, aber die anderen waren da anderer Meinung.
Ich durfte also von da an keinen Panzer mehr anfassen, nicht mal mehr in die Nähe eines Panzers kommen, aber man beförderte mich trotzdem.
Ich bekam eine sehr verantwortungsvolle Position: Ich durfte Nachts das Kasernengelände bewachen.
Ich musste aufpassen, dass keine feindliche Armee uns im Schlaf überraschte, oder ein Spion sich einschlich. Ich wusste, dass dies eine sehr viel sinnvollere Aufgabe war, als Panzer fahren. Es war auch viel anspruchsvoller, denn man musste lernen im Stehen zu schlafen ohne umzufallen.
Das war eine ganz beachtliche Fertigkeit, die mir im Späteren noch bestimmt gute Dienste leisten würde.
Wir exerzierten das jede Nacht, und wurden darin schnell ziemlich gut.
Das dumme war nur, dass unser Ausbilder damit nicht einverstanden zu sein schien. Er entwickelte die Angewohnheit sich in die Büsche zu schlagen um uns zu erwischen. Dann bekamen wir Strafen auf gebrummt und Ausgehverbot.
Es schien ihm wirklich Spaß zu machen - was ich nicht verstand.
Ihr sollt hier nicht pennen, ihr sollt aufpassen und wachsam sein, sagte er, wenn ich jetzt ein feindlicher Spion gewesen wäre, was dann? Dann hätte ich sonstwas anstellen können, und ihr hättet es nicht bemerkt. Also seid wachsam - Verstanden?
Verstanden“, sagte wir und schlugen die Hacken zusammen.
Ich hatte zwar in der ganzen vergangenen Zeit noch nie einen Feind zu Gesicht bekommen, aber ich befolgte seinen Rat und war von jetzt an wachsam und passte auf. Und das war gut so.
Eines Nachts stand ich also wieder auf meinem Posten, da raschelte etwas im Gebüsch. Das war der Fall des Falles, das war der Grund meines Hierseins, darum hatte man mich hierher gestellt. Da war der Feind! da schlich sich jemand an.
Ich musste ihn sofort erschießen, auch ohne Vorwarnung – wer uns an den Kragen wollte hatte es nicht anders verdient. Ich lud das Gewehr durch und zielte auf den Busch der da raschelte. Aber dann war wieder mein innerer Pazifist zugegen und meinte: He Mann, warum denn immer gleich schießen? Kann man das nicht auch anders lösen? Feinde sind doch irgendwie auch nur Menschen die Befehle haben...usw.
Ich senkte das Gewehr und ging auf das Versteck des Feindes zu und rief: „Wer da? Hände hoch, oder ich schieße!“ und im gleichen Moment drehte ich das Gewehr um, und hieb mit dem Kolben herzhaft zu.
Es gab wieder eine Verhandlung, und wieder wurde ich bezichtigt, irgendetwas falsch gemacht zu haben.
Und ich sagte: „Ich konnte doch nicht wissen, dass der Spieß sich nachts in den Büschen herumtreibt. Ich hätte normalerweise schießen müssen, dann hätten wir jetzt einen Ausbilder weniger und eine Ausbilderwitwe mehr.“
Das sahen sie wieder mal nicht ein und meinten, sie würden mich dann doch lieber entlassen, denn sonst hätten die Chinesen demnächst niemanden mehr den sie angreifen konnten. Das war ungerecht.
Ich hatte meine Pflicht getan.
Was kann ich dafür, dass die ihre Panzer in Shanghai auf dem Fischmarkt kaufen und sich unsere Leute im Gebüsch herum treiben?
Ich war mir keiner Schuld bewusst, nein ich fühlte mich gekränkt.
Und dabei hatte ich mich schon so gut eingelebt, dass ich fest entschlossen war, Berufssoldat zu werden.






Mittwoch, 11. Mai 2011

Zwei Spatzen

Zwei Spatzen

Seit einigen Tagen hatten sich die Geräusche in unserem Garten verändert.
Zu dem gewohnten Zwitschern und Singen der Amseln war ein lautes Tschilpen und Schimpfen hinzu gekommen, wie ich es schon seit langer Zeit nicht mehr gehört hatte. Es waren Spatzen.
Ein dicker, der wie aufgeplustert wirkte und ein schmaler mit glänzenden Augen und brauner Stirn.
Sie saßen in den Ästen von unserem Haselstrauch und unterhielten die Umgebung. Das heißt, der Dicke tat das.
Er schimpfte und jubelte ohne Unterbrechung in allen Tonlagen, die einem Vogel wie ihm zur Verfügung stehen, während der andere nur ganz ab und zu einen kurzen Einwurf wagte.
Es war schwer zu sagen, welcher von beiden wohl das Männchen und wer das Weibchen war, auch wenn es Leute gibt, die die Gesprächigkeit immer eher den Frauen zuschreiben.
Ich bin mir da nicht so sicher, zumal dann, wenn ich an jemanden wie unseren „Onkel Schweigsam“ denke. Onkel Schweigsam heißt eigentlich
Erich und ist auch nicht wirklich ein echter Onkel von uns.
Er hat irgendwann, in einem unbeobachteten Augenblick, eine Cousine meiner Mutter geheiratet. Eine Unachtsamkeit, die wir uns in der Familie nie wirklich vergeben konnten.
Dabei ist der Onkel kein schlechter Kerl, er raucht nicht, er trinkt nicht und ist freundlich zu jedermann. Das einzige Laster, das er ausgiebig pflegt, ist eine unglaublich nervtötende Gesprächigkeit, der kein Thema fremd und keine Formulierung zu umständlich ist.
Ein Mensch, der selbst aus einem einfachen „hallo“ einen abendfüllenden Vortrag über die Amerikanisierung der Deutschen Sprache im Allgemeinen, und deren Auswirkungen auf den Verdauungsapparat vereinsamter Angorakaninchen im Besonderen hat. Kein schlechter Kerl, wie schon gesagt, aber die Pest, wenn man ihm nicht rechtzeitig aus dem Wege geht.
Böse Stimmen, wie die meines Bruders Benjamin behaupten, dass die CIA Onkel Schweigsam als besonders gemeine Foltermethode gegen verschwiegene Terroristen einsetzen wollte, aus humanitären Gründen dann jedoch darauf verzichtet hat.
Ich glaube, dass Benjamin sich das nur ausgedacht hat, aber wer je auf einer Familienfeier in Onkel Schweigsams Fänge geriet, könnte durchaus anderer Meinung sein.
Solch ein Kaliber war auch der dicke Spatz in unserem Haselstrauch, und darum nannte ich ihn „Quatscher“, den anderen nannte ich „Ping“.
Quatscher und Ping lebten sich schnell ein in unserem Garten, und wenn ich morgens um sieben auf die Terrasse ging um meinen Kaffee zu trinken, dann hatten sie schon längst lautstark das Für und Wider, das Auf und Ab und das Hin und Her, aller mehr oder weniger bedeutsamen Angelegenheiten der Weltgeschichte am Wickel.
Einmal streute ich ihnen Brotkrumen hin, weil ich dachte, so für etwas Ruhe sorgen zu können, aber weit gefehlt.
Genau wie Onkel Schweigsam am kalten Buffet, so konnte auch der dicke Spatz essen und trinken, ohne dass es seinen Redefluss im geringsten gestört hätte.
Ich mochte die beiden trotzdem.
Ich mag Spatzen, und hatte noch vor Kurzem festgestellt, dass man sie viel seltener sieht als früher.
Mich erinnern Spatzen irgendwie an Berliner Hinterhöfe im Frühling, wenn die ersten Sonnenstrahlen die dunklen Schluchten der Häuserwände erhellen und die Fensterscheiben zum Blitzen bringen und
man durch die hohen Fenster sieht und sich fragt, wie sie wohl heißen mag, die, neben der man gerade aufgewacht ist.
Es ist nicht gut, sich an diese Dinge zu erinnern, es ist zu merkwürdig, zu melancholisch und auch viel zu lange her. Aber es gibt Geräusche und Gerüche, die zaubern alles wieder zurück, ob man will oder nicht, und tschilpende Spatzen gehören dazu, genau wie die muffigen Wellen, die in Hamburg an die Kaje schlagen wenn Fischmarkt ist und man nicht geschlafen hat und ein Fischbrötchen mit Frühstücksbier verzehrt.
Nicht alles war schlecht, denke ich, das meiste schon.
Den Spatzen ging es gut bei uns, und nur die Katze von Schröders, die sich nachts immer auf meinem Campingstuhl niederlässt, machte mir Sorgen. Es war ihr Revier, mein Garten, wie sie zu denken schien, und ich besorgte eine Wasserpistole.
Ein prächtiges Exemplar mit ordentlich Druck und zwanzig Metern Reichweite.
Ich mag keine Katzen - jedenfalls nicht mehr seit Willi.
Aber Willi war ja auch keine normale Katze.
Willi war ein stämmiger, roter Kater mit einem Schmiss über der Nase und an seinem linken Ohr fehlte ein Stück. „Alte Kriegsverletzung“, wie er bestimmt gesagt hätte.
Den wollen Sie? Sind Sie sicher?“ hatte damals die Dame vom Tierheim gesagt. 
Willi verbrachte seine Tage auf einer Art Regal im Katzenraum. 
Er lag da ganz entspannt, bis eine von den anderen unter ihm hindurchging, dann holte er aus, verpasste ihr eine und ließ die ausgerissenen Haare durch seine Krallen rieseln. Er hatte große Pfoten, und seine Krallen waren durchaus sehenswert.
In unserem Haus gab es damals noch zwei andere Katzen, die moppelige Kitty, die immer einen etwas leidenden Eindruck machte und Luzi aus dem dritten Stock, der man besser nicht zu nahe kam. Ich war gespannt, wie sich mein roter „Kampfkater“ wohl mit ihnen verstehen würde.
Die Fronten waren schnell geklärt.
Die seufzende Kitty wurde seine Freundin, die er sogar zum Essen zu uns einlud, und mit Luzi lieferte er sich jeden Nachmittag zur Kaffeezeit eine lautstarke Prügelei.
Der Kater und ich verstanden uns prächtig, bis auf eine Sache vielleicht.
Willi mochte keinen Besuch, und fremde „Weiber“ schon mal gar nicht. Das störte mein Liebesleben empfindlich, denn wann immer ich spät abends mit einem „Übernachtungsgast“ bei uns auftauchte, der sich zum Bleiben anschickte, schiss mir der Kater vors Bett. Das veranlasste mich dann, ihn übel zu beschimpfen, am Kragen zu packen und aus dem Fenster zu werfen (wir wohnten im Parterre). Damit war die Romantik im Eimer, und wenn ich den Boden fertig gescheuert hatte, war die Dame still und heimlich verschwunden.
Der Abend war hinüber, ich schon fast wieder nüchtern und der Kater grinste durchs Küchenfenster, so war das.
Ich ließ ihn irgendwann wieder rein, und wir versöhnten uns mit Brekkies und Bier, und kamen überein, dass wir unseren Streit eigentlich nur diesem weiblichen Eindringling zu verdanken hatten. Eines Tages verschwand Willi, und ich rief noch wochenlang nach ihm wenn ich abends nach Hause kam.
Seitdem mag ich keine Katzen mehr.
Heute Morgen ging ich mit ein paar Brotkrümeln zum Haselstrauch.
Nur Quatscher hockte da auf seinem Zweig und hielt seine Volksreden, wie er es immer tat. Auf dem Boden fand ich ein paar graue Federn und ein Ding, das wohl eine Vogelgalle war. Die hatte die Katze übriggelassen.
Der dicke Quatscher pickte meine Frühstückskrümel auf und erzählte in einem fort. Dann flatterte er zurück auf seinen Ast, plusterte sich auf und begann ein neues Thema – einfach so.
Manche Leute merken wirklich nichts.




Mittwoch, 4. Mai 2011

Mittags am Golf von Mexico

Eine Sommergeschichte


iiiiiiiihhh!! Mama, ein Hai!“ der Schrei des Mädchens hätte eine Fensterscheibe zum bersten bringen können, wenn es hier am Strand von Anna Maria Island ein Haus mit Fensterscheiben gegeben hätte.
Natürlich ein „Hai“, dachte Heidi Heringshai als sie vorüber schwamm - was denn sonst?
Mama Hilfe! Mama, Mama...“ das Mädchen versuchte aus dem Wasser zu flüchten, aber obwohl sie einen gewaltigen Wirbel machte, kam sie kaum vorwärts.
...Mama, er will mich fressen.“
So ein Quatsch, dachte Heidi. Hast du mal auf die Größe meiner Rückenflosse geachtet? Ich bin gerade mal eins-fünfundzwanzig lang und wiege kaum dreißig Pfund.
Er kommt, Mama er kommt. Er frisst mich Mama, er frisst mich auf!“

Wie sollte ich dich wohl auffressen, mit diesen Zähnen? Ich müsste dich lutschen, du blöde Göre. Hör schon auf zu schreien, ich bin nicht der Große Weiße aus dem Kino...
Zwei dicke , bleiche Baumstämme tauchten mit Wucht rechts und links von Heidi ins Wasser.
...und ich fresse keine...AUA! Etwas hatte Heidi mit Wucht am Rücken getroffen und ihre Schwanzflosse wurde gefühllos. Es musste ein Riese sein, der da seine Keule schwang.
Du Satansbraten! Du willst mein Töchterchen erschrecken?“
Patsch!
Du blöder Haifisch , Du!“
Watsch!
Dich werd ich Mores lehren, du mistige Makrele.“
Pusch!
Wie Wasserbomben donnerten die Einschläge um Heidi herum.
So was machst du nicht mit Edwina Thompson. Und schon gar nicht mit ihrer süßen Petronella.“
Batsch!
Heidi hatte sich bis zu diesem Moment immer für ein besonders flinkes Exemplar ihrer Gattung gehalten, aber sie vermochte es nicht den Schlägen auszuweichen.
Nur ihre empfindliche Nase schützte sie, indem sie den Kopf genau zwischen den Baumstämmen hielt, hierhin fuhr die Keule des Riesen nicht.
Das Wasser um sie herum kochte, brodelte und ihr Angreifer wirbelte so viel Sand auf, dass man die Flosse vor Augen nicht mehr sah.
Auch Edwina konnte nichts mehr erkennen, aber sie wusste, der Fisch war noch da.
Da, genau zwischen ihren Füßen. Sie war außer Atem, aber noch lange nicht am Ende. Konzentriert wie ein Kendo Kämpfer nahm sie den Sonnenschirm und drehte ihn, bis seine Spitze senkrecht nach unten zeigte.
Heidi verhielt sich ganz still, ihr war schwindelig. Die weißen Bäume rechts und links von ihr waren nur verschwommene helle Schatten. Sie sah genauer hin. Da waren blaue und lila Wülste zu erkennen, sie sahen fast aus wie Adern. Adern?
Das sind keine Bäume, dachte Heidi, das sind Beine!
Ich habe drei Mistkerle von Männern unter die Erde gebracht, und die waren schlimmer als du“, flüsterte Edwina, „und heute Abend“, sie erhob den Schirm zum tödlichen Stoß, “ heute Abend gibt es gegrillten Hai mit KartoffelsalAAAHHH!“
Heidi hatte ihre Zähne in den linken „Baum“ geschlagen.
Au Verdammt, er hat mich gebissen!“
Heidis Zähne steckten in einer wunderbar weichen, weißen Masse. Keine Knochen, keine Knorpel, keine Sehnen, kein Widerstand – es war ekelhaft.
Edwina riss die Arme in die Höhe, und der Sonnenschirm landete einige Meter weiter in der türkisblauen See. Die Wut über ihre viel zu kleinen Zähne ließen Heidi ihre eigentlich friedliche Gesinnung vergessen – sie setzte nach.
Ah, du elende Mißgeburt“, fluchte Edwina,“ Petronella hilf mir! Hol den Schirm – schnell.“
Das Mädchen stand am Ufer und rührte sich nicht.
Petronella, hol den verdammten Schirm. Hörst du !“
Mrs. Thompson hob ihr massiges Bein mitsamt dem Hai aus dem Wasser. Sie wollte das Untier abschütteln, aber Heidi hatte sich an ihr fest gebissen, wie ein Terrier an einem Postboten.
Edwina griff nach Heidis Schwanz.
Petronella, du unnützes Balg. Ich prügel dich windelweich, wenn du nich sofort herkommst und mir hilfst.“
Das Mädchen bewegte sich nicht.
Heidi hatte eine dicke hellblaue Vene ins Visier genommen. Sie löste ihren Kiefer für einen Moment und schnappte dann mit aller Kraft erneut zu. Ihr Mund füllte sich mit süßem Menschenblut - das war doch schon sehr viel besser.
Mrs. Thompson verlor den Halt und stürzte, wie in Zeitlupe, rückwärts. Ihr mächtiger Hintern teilte die Fluten des Golfes, der sich das allerdings nicht lange gefallen ließ und wieder über ihr zusammen schlug. Edwina schluckte Wasser und verlor ihre Badekappe, aber Heidis Schwanz ließ sie nicht los.
Heidi wand und drehte sich während sich ihre Zähne immer tiefer in den Unterschenkel gruben.
Edwina änderte ihre Strategie. Sie umklammerte den Fischschwanz jetzt nur noch mit der linken Hand, mit der Rechten hämmerte sie auf Heidis Schädel ein.
Heidi hielt fest, und die Wunde an Edwinas Bein wurde größer.
Rote Wolken waberten durchs Wasser. Mrs. Thompson sah das Blut und wurde panisch.
Petronella! Petronella beweg dich endlich und hilf mir“, rief sie.
Das Mädchen ließ die Schultern sinken und blickte zu Boden.
Ein Mann mit gestreifter Badekappe, krummen Beinen und Nickelbrille war herzu gekommen und stand nur wenige Meter von Petronella entfernt.
Er hatte die Hände hinter dem Rücken verschränkt, den Oberkörper nach vorn gebeugt und blinzelte kurzsichtig in Richtung des Getümmels.
Er wirkte in seiner altmodischen Badehose nicht wie ein Life Guard aus dem Fernsehen, aber Mrs. Thompson hatte keine Wahl.
He Sie, Sir. Dann helfen sie mir doch bitte mit diesem Mistvieh.“
Sie donnerte eine Rechte aus Heidis Kopf.
Der Mann deutete auf seine kaum behaarte Brust. „Wer, Ich?“
Natürlich Sie, wer denn sonst? Meine verblödete Tochter rührt sich nicht, und die Jungs von Baywatch sind im Urlaub. Also los Mann, helfen sie mir raus.“
Der Mann scharrte mit den Füßen im Sand und schüttelte den Kopf.
Ich kann nicht Ma`am, da is ein Hai.“
Ach, was sie nicht sagen. Da wäre ich alleine ja nie drauf gekommen. Was glauben sie, wer mich hier gerade in die Wade beißt.“
Der Mann sah auf seine Füße und schüttelte noch einmal den Kopf.
Den meine ich nicht“, sagte er.

Heidi, Heidi“; sagte Torres Tigerhai und seufzte, „das hätte ich nicht von dir gedacht. Sieh dir bloß mal an, was für eine Schweinerei du hier veranstaltet hast.“
Heidis Kopf dröhnte von den Fausthieben, die sie hatte einstecken müssen.
Halt`s Maul, Torres“, sagte sie.
Torres sog etwas Wasser durch seine Zahnlücken um die Speisereste zu entfernen.
Nee nee, alles voll mit ihrem fettigen Blut, und überall schwimmen noch Reste von der Dame herum. Gönn dir was, Mädchen. Einen halben Unterarm habe ich dir noch übrig gelassen.“
Torres, halt`s Maul.“
Ihr hässlicher Schädel dümpelt da auch noch irgendwo rum, aber den können sich von mir aus die Aale teilen“, Torres rülpste, „ Mann, is mir schlecht.“
Einer von Edwinas dicken Fingern trieb langsam an Heidi vorbei. Sie schnappte danach - er schmeckte nach Sonnencreme.
Guck mal Heidi, der Alte mit den krummen Beinen. Der ist ganz grün im Gesicht, ich wette zwei zu eins, der macht gleich ein zähflüssiges Bäuerchen. ...Siehste, ich hatte recht.“ Torres grinste, „ Bloß gut, dass die Kleine uns nicht in die Quere gekommen ist. Nur Haut und spitze Knochen, da kann man sich übel dran verschlucken, sag ich dir. Ein Vetter von meiner Mutter...“
Sieh mal Torres“, sagte Heidi.

Petronella, die Tochter der kürzlich verschiedenen Mrs. Thompson, stakste schlafwandlerisch auf das Wasser zu. Bis zu den Knien watete sie in die rötliche Brühe hinein. Sie fischte etwas heraus, das die Größe eines eines Handballes hatte und von ähnlich bleicher Farbe war.
Die beiden Haie schwammen näher heran, sie waren neugierig.
Oh hallo Mrs. Thompson“, sagte das Mädchen, „ sie sehen heute aber gar nicht gut aus. Was ist ihnen denn bloß widerfahren - sind sie schwimmen gewesen und eine Schiffsschraube hat sie erwischt? Nein?“ Das Mädchen schmunzelte. „Ach so, ein Hai hat sie ins Bein gezwickt. Ein kleiner böser Babyhai“, sie schürzte die Lippen als ob sie zu einem Kleinkind spräche, „Oh, dieses böse, böse Tier. Und Ihre Tochter? Diese nichtsnützige, stumpfsinnige, unbegabte und vor Blödheit stinkende Petronella hat ihnen nicht geholfen? Nein? Sie hat einfach nur da gestanden und keinen Finger gerührt?“ Petronella schüttelte den Kopf, „ Nein, das ist wirklich keine Art mit der eigenen Mutter umzugehen. Aber Mrs. Thompson, eigentlich sind sie selbst daran schuld. Wer seine Kinder nicht richtig erzieht, wer zu freundlich und zu milde ist, der darf sich nicht wundern. Das haben sie jetzt von ihrem guten Herzen.“ Das Mädchen seufzte, „ Ach Mrs. Thompson, sie hätten sie öfter schlagen müssen. Mit der Zeitung oder dem Pantoffel auf den Rücken, damit man es nicht sieht. Sie hätten auch viel früher damit anfangen müssen – nicht erst mit drei Jahren.
Und der Kleiderschrank? Viel zu harmlos. Der dunkle Keller hätte es sein müssen, mit dem Hinweis darauf, nicht auf die Spinnen zu treten.“ Petronella zuckte mit den Schultern. „Sie waren zu unentschlossen Mrs. Thompson, ja, ja. In der Kindheit und später in der Jugend erst recht. Sie hätten Petronellas Willen, ihren Stolz und ihr freches Selbstbewusstsein viel früher brechen müssen – nicht erst mit zehn. Sie einfach nur anzuschreien war nicht genug.“ Das Mädchen ließ die Arme sinken und ihr Blick schweifte in die Ferne. Der Schädel tauchte bis zur Hälfte ins Wasser, aber sie hielt ihn an den Haaren fest, damit er nicht fort schwamm.
Heidi verfolgte Petronellas Monolog mit gebannter Spannung, Torres dagegen verdrehte nur gelangweilt die Augen und beschäftigte sich lieber mit seinem Sodbrennen.
Spielerisch zog das Mädchen den Kopf ihrer Mutter aus dem Wasser und ließ ihn dann wieder fast versinken.
Nein, Mrs. Thompson“, sagte sie, „Sie haben ihre Möglichkeiten an diesem Kind vertan. Und später, in Petronellas Pubertät? Da wäre die Gelegenheit gewesen das Steuer noch einmal herum zu reißen. Sie hätten ihre Tochter viel öfter lächerlich machen müssen, vor allem in Gegenwart Fremder. Aufhänger gab es doch genug. Warum haben sie so selten eine Bemerkung über Petronellas „Silberblick“ gemacht, ihre starke Körperbehaarung bemerkt, oder davon gesprochen wie angenehm ihre Tochter vor der der Pubertät gerochen hat? Sicher, sie haben oft für Erheiterung der Gesellschaft gesorgt, wenn sie den „Stacheldraht“ in Petronellas Mund erwähnten, aber war das genug? Nein, Mrs. Thompson, das war es nicht.“
Petronella zog den Kopf ihrer Mutter sanft, ja fast zärtlich an den Haaren durch die Wellen. Das Wasser wurde klarer, das Blut schien ausgewaschen zu sein.
Mit einem Ruck zerrte sie an den Haaren und Edwinas Gesicht tauchte auf.
Sie haben ihre Chance vertan“ sagte Petronella, „das Schicksal hat ihnen so viele Möglichkeiten gegeben, aber selbst als dieses unnütze Kind nur noch stammelnd und mit heißen Händen durch die Welt ging, haben sie nicht zugeschlagen, den Sack nicht zu gemacht.“ Petronella schnellte unvermittelt hoch und riss Edwinas Kopf an den Haaren aus dem Wasser. Sie schleuderte das bleiche Ding wie ein Hammerwerfer herum und brüllte: „Du hast versagt Mrs. Thompson! Du hast versagt Edwina! Du hast versagt Mutter!“
Bei der letzten Silbe ließ sie los und Edwinas bleicher Schädel flog weit in die Dünung hinaus.
Torres stieß einen anerkennenden Pfiff aus: „ Nicht schlecht Mädchen. Langweiliges Gequatsche, aber ein guter Wurf.“
Petronella sah zu ihm hinüber.
Bist du das gewesen, hast du meine geliebte Mutter gefressen ?“
Äh, ja...ich meine“, sagte Torres, „ ...ich würde das nicht „gefressen“ nennen, ich habe sie ...nur einmal probiert.Genau, eigentlich nur probiert, habe ich sie.“
Das Mädchen stemmte die Hände in die Hüfte, dann legte sie den den Kopf zur Seite und betrachtete den Tigerhai.
Selber schuld“, sagte sie.