Moin Leute. Ihr wisst ja: "Es ist ganz leicht das Rauchen aufzugeben. Ich habe es schon hundert mal geschafft." (Mark Twain)

Montag, 31. Dezember 2012

Dürfen Christen traurig sein?

Dürfen Christen traurig sein?


„Was für eine dumme Frage!“, sagt einer der Brüder, „Natürlich nicht! Die Freude am Herrn ist unsere Stärke, mein Lieber,“ er schlägt mir auf die Schulter, „immer fröhlich. Immer immer fröhlich ... Wir glauben schließlich, dass wir in Gottes Herrlichkeit eingehen. Oder?“
Er sieht mir in die Augen: „Oder?“
Ich nicke, weil er mir sonst vielleicht den Arm bricht.

Ein Freund, der meine Überzeugungen noch nie teilen konnte, sagt: „Ach, wein´ doch ruhig, heul` dich aus, du hast allen Grund dazu. Erst dieser Verlust, und jetzt auch noch die Enttäuschung, dass es dir trotz deines Glaubens kein Bisschen besser geht, als jedem Anderen.
Was ist das für ein Gott, der dich allein lässt in deinem Elend? Es ist alles frommer Unsinn. Ich habe es gewusst. Ich hab`s immer gewusst, aber du wolltest ja nicht auf mich hören.
Ich nicke, damit er den Mund hält. Vielen Dank, für die Anteilnahme.

Ich gehe in Gottes Ewigkeit, ich gehe nachhause - wenn ich gehe. Meine Zeit hier auf der Erde, ist nur ein Teil meines Lebens, aber kommt der Begriff „Trauer“ deshalb in Gottes und meinem Vokabular nicht mehr vor?

Stellt euch einmal vor: Da gibt es eine Pier.
Eine Pier, von der früher die Ozeanriesen in die „Neue Welt“ abgelegt haben.
Denkt euch, an diesem Kai gäbe es einen Passagierdampfer, aber anstatt ins Land der Wolkenkratzer, fährt dieser in die Ewigkeit.
Der „Dicke Pott“ macht an der Columbuskaje fest.
Rauch quillt dicht und weiß aus seinem Schornstein und das Tuten seines Nebelhorns lässt die Kaje erzittern. Die Möwen kreischen, die Ankerkette rumpelt gegen die Bordwand, die Gangway wird heruntergelassen.
Einer von uns geht an Bord.
Kein Koffer, kein Blick zurück.
Wir stehen am Ufer. Wir schauen zu, und winken.
Die Luft ist salzig, es riecht nach Brackwasser und feuchtem Tauwerk.
Ein Schifferklavier stimmt „Welch ein Freund ist unser Jesus“ an, und einer erinnert sich an die letzten Wochen.
Er denkt an Neonlicht, an Infusionen, an Katheter, Bettpfannen, den Geruch von Desinfektionsmitteln und an - Hilflosigkeit. Aber das ist jetzt alles vorbei.
Endgültig vorbei.
Kein Küchendunst im Fahrstuhl mehr, keine Gesundheitslatschen, die über die Gänge quietschen. Kein dritter Stock, wo die hoffnungslosen Fälle liegen.
Es ist vollbracht – Gott sei Dank!
Seine Erleichterung bricht aus ihm heraus: „Seht nur,“ er läuft auf der Kaimauer entlang und seine Stimme will sich überschlagen, „Seht! Es ist geschafft! Jetzt wird alles gut! Jetzt kann ihm nichts Schlimmes mehr passieren – gute Reise, mein Freund, gute Reise! Und grüß `mir die Lieben schön!“

Jesus nickt ihm zu – und lächelt. Er hat teuer für diese Passage bezahlt.

Einem Anderen fällt das Winken schwer.
So schwer, dass er seine Hand sinken lässt, sich umdreht, den Kragen hochschlägt und seine Hände bis an die Ellenbogen in den Manteltaschen vergräbt. Es ist alles logisch, es ist alles wahr, aber es ist auch alles viel zu groß.
Er meint, seinen Atem vor dem Gesicht zu sehen. Ist es tatsächlich Mitte August?
Er geht, den Kopf gesenkt, die Schultern hochgezogen. Sein Blick klebt an den Spitzen seiner Sonntagsschuhe. Ein Tropfen sammelt sich an seiner Nasenspitze, seine Brust wird eng und sein Magen zieht sich zusammen. Der Wind ist schuld. Der treibt einem die Tränen in die Augen.
Nur weg hier, weg!

Er hört Schritte, die ihm nachlaufen.
Jemand bufft ihn in die Seite:
„Hey, du willst doch wohl nicht anfangen zu heulen, oder?“
„Doch, Herr, das will ich.“
„Brauchst du `n Taschentuch?“
„Ja.“
„Hier, nimm.“
„Darf ich da rein schnauben?“
„Klar, ist doch meins.“
„Danke.“
„Und, wo willst du jetzt hin?“
„Ich weiß es nicht, Herr, ... ich weiß es verdammt noch mal wirklich nicht.“
„Dann ist es gut, dann komme ich mit.“

In der Ferne spielt das Schifferklavier „Welch ein Freund ist unser Jesus“, und das Schifferklavier hat da wohl Recht


J.H..

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