Moin Leute. Ihr wisst ja: "Es ist ganz leicht das Rauchen aufzugeben. Ich habe es schon hundert mal geschafft." (Mark Twain)

Mittwoch, 11. Mai 2011

Zwei Spatzen

Zwei Spatzen

Seit einigen Tagen hatten sich die Geräusche in unserem Garten verändert.
Zu dem gewohnten Zwitschern und Singen der Amseln war ein lautes Tschilpen und Schimpfen hinzu gekommen, wie ich es schon seit langer Zeit nicht mehr gehört hatte. Es waren Spatzen.
Ein dicker, der wie aufgeplustert wirkte und ein schmaler mit glänzenden Augen und brauner Stirn.
Sie saßen in den Ästen von unserem Haselstrauch und unterhielten die Umgebung. Das heißt, der Dicke tat das.
Er schimpfte und jubelte ohne Unterbrechung in allen Tonlagen, die einem Vogel wie ihm zur Verfügung stehen, während der andere nur ganz ab und zu einen kurzen Einwurf wagte.
Es war schwer zu sagen, welcher von beiden wohl das Männchen und wer das Weibchen war, auch wenn es Leute gibt, die die Gesprächigkeit immer eher den Frauen zuschreiben.
Ich bin mir da nicht so sicher, zumal dann, wenn ich an jemanden wie unseren „Onkel Schweigsam“ denke. Onkel Schweigsam heißt eigentlich
Erich und ist auch nicht wirklich ein echter Onkel von uns.
Er hat irgendwann, in einem unbeobachteten Augenblick, eine Cousine meiner Mutter geheiratet. Eine Unachtsamkeit, die wir uns in der Familie nie wirklich vergeben konnten.
Dabei ist der Onkel kein schlechter Kerl, er raucht nicht, er trinkt nicht und ist freundlich zu jedermann. Das einzige Laster, das er ausgiebig pflegt, ist eine unglaublich nervtötende Gesprächigkeit, der kein Thema fremd und keine Formulierung zu umständlich ist.
Ein Mensch, der selbst aus einem einfachen „hallo“ einen abendfüllenden Vortrag über die Amerikanisierung der Deutschen Sprache im Allgemeinen, und deren Auswirkungen auf den Verdauungsapparat vereinsamter Angorakaninchen im Besonderen hat. Kein schlechter Kerl, wie schon gesagt, aber die Pest, wenn man ihm nicht rechtzeitig aus dem Wege geht.
Böse Stimmen, wie die meines Bruders Benjamin behaupten, dass die CIA Onkel Schweigsam als besonders gemeine Foltermethode gegen verschwiegene Terroristen einsetzen wollte, aus humanitären Gründen dann jedoch darauf verzichtet hat.
Ich glaube, dass Benjamin sich das nur ausgedacht hat, aber wer je auf einer Familienfeier in Onkel Schweigsams Fänge geriet, könnte durchaus anderer Meinung sein.
Solch ein Kaliber war auch der dicke Spatz in unserem Haselstrauch, und darum nannte ich ihn „Quatscher“, den anderen nannte ich „Ping“.
Quatscher und Ping lebten sich schnell ein in unserem Garten, und wenn ich morgens um sieben auf die Terrasse ging um meinen Kaffee zu trinken, dann hatten sie schon längst lautstark das Für und Wider, das Auf und Ab und das Hin und Her, aller mehr oder weniger bedeutsamen Angelegenheiten der Weltgeschichte am Wickel.
Einmal streute ich ihnen Brotkrumen hin, weil ich dachte, so für etwas Ruhe sorgen zu können, aber weit gefehlt.
Genau wie Onkel Schweigsam am kalten Buffet, so konnte auch der dicke Spatz essen und trinken, ohne dass es seinen Redefluss im geringsten gestört hätte.
Ich mochte die beiden trotzdem.
Ich mag Spatzen, und hatte noch vor Kurzem festgestellt, dass man sie viel seltener sieht als früher.
Mich erinnern Spatzen irgendwie an Berliner Hinterhöfe im Frühling, wenn die ersten Sonnenstrahlen die dunklen Schluchten der Häuserwände erhellen und die Fensterscheiben zum Blitzen bringen und
man durch die hohen Fenster sieht und sich fragt, wie sie wohl heißen mag, die, neben der man gerade aufgewacht ist.
Es ist nicht gut, sich an diese Dinge zu erinnern, es ist zu merkwürdig, zu melancholisch und auch viel zu lange her. Aber es gibt Geräusche und Gerüche, die zaubern alles wieder zurück, ob man will oder nicht, und tschilpende Spatzen gehören dazu, genau wie die muffigen Wellen, die in Hamburg an die Kaje schlagen wenn Fischmarkt ist und man nicht geschlafen hat und ein Fischbrötchen mit Frühstücksbier verzehrt.
Nicht alles war schlecht, denke ich, das meiste schon.
Den Spatzen ging es gut bei uns, und nur die Katze von Schröders, die sich nachts immer auf meinem Campingstuhl niederlässt, machte mir Sorgen. Es war ihr Revier, mein Garten, wie sie zu denken schien, und ich besorgte eine Wasserpistole.
Ein prächtiges Exemplar mit ordentlich Druck und zwanzig Metern Reichweite.
Ich mag keine Katzen - jedenfalls nicht mehr seit Willi.
Aber Willi war ja auch keine normale Katze.
Willi war ein stämmiger, roter Kater mit einem Schmiss über der Nase und an seinem linken Ohr fehlte ein Stück. „Alte Kriegsverletzung“, wie er bestimmt gesagt hätte.
Den wollen Sie? Sind Sie sicher?“ hatte damals die Dame vom Tierheim gesagt. 
Willi verbrachte seine Tage auf einer Art Regal im Katzenraum. 
Er lag da ganz entspannt, bis eine von den anderen unter ihm hindurchging, dann holte er aus, verpasste ihr eine und ließ die ausgerissenen Haare durch seine Krallen rieseln. Er hatte große Pfoten, und seine Krallen waren durchaus sehenswert.
In unserem Haus gab es damals noch zwei andere Katzen, die moppelige Kitty, die immer einen etwas leidenden Eindruck machte und Luzi aus dem dritten Stock, der man besser nicht zu nahe kam. Ich war gespannt, wie sich mein roter „Kampfkater“ wohl mit ihnen verstehen würde.
Die Fronten waren schnell geklärt.
Die seufzende Kitty wurde seine Freundin, die er sogar zum Essen zu uns einlud, und mit Luzi lieferte er sich jeden Nachmittag zur Kaffeezeit eine lautstarke Prügelei.
Der Kater und ich verstanden uns prächtig, bis auf eine Sache vielleicht.
Willi mochte keinen Besuch, und fremde „Weiber“ schon mal gar nicht. Das störte mein Liebesleben empfindlich, denn wann immer ich spät abends mit einem „Übernachtungsgast“ bei uns auftauchte, der sich zum Bleiben anschickte, schiss mir der Kater vors Bett. Das veranlasste mich dann, ihn übel zu beschimpfen, am Kragen zu packen und aus dem Fenster zu werfen (wir wohnten im Parterre). Damit war die Romantik im Eimer, und wenn ich den Boden fertig gescheuert hatte, war die Dame still und heimlich verschwunden.
Der Abend war hinüber, ich schon fast wieder nüchtern und der Kater grinste durchs Küchenfenster, so war das.
Ich ließ ihn irgendwann wieder rein, und wir versöhnten uns mit Brekkies und Bier, und kamen überein, dass wir unseren Streit eigentlich nur diesem weiblichen Eindringling zu verdanken hatten. Eines Tages verschwand Willi, und ich rief noch wochenlang nach ihm wenn ich abends nach Hause kam.
Seitdem mag ich keine Katzen mehr.
Heute Morgen ging ich mit ein paar Brotkrümeln zum Haselstrauch.
Nur Quatscher hockte da auf seinem Zweig und hielt seine Volksreden, wie er es immer tat. Auf dem Boden fand ich ein paar graue Federn und ein Ding, das wohl eine Vogelgalle war. Die hatte die Katze übriggelassen.
Der dicke Quatscher pickte meine Frühstückskrümel auf und erzählte in einem fort. Dann flatterte er zurück auf seinen Ast, plusterte sich auf und begann ein neues Thema – einfach so.
Manche Leute merken wirklich nichts.




4 Kommentare:

  1. Moin Kollege,

    gefällt mir richtig gut deine Schreibe, aber dat weißt du ja. Und son Fusselkopp wie ich schaut hier immer wieder gerne rein und liest dat alles durch und wird dann grün und blass vor Neid, aber sach das nich weiter ...

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  2. Lieber Kollege,
    dass sie sich hier mal lesen lassen,
    freut mich wirklich ganz besonders.
    Lieben Gruß
    Janek

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  3. Hallo Janek,
    stellenweise habe ich herzhaft gelacht. Deine Geschichte ist einfach köstlich.
    Deinen Onkel Schweigsam, den kenne ich. Wir haben den in unserer Familie (wußte gar nicht, dass wir verwandt sind :twisted:)

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  4. Ja, ich finde jeder sollte so einen Onkel haben.
    Grüße
    Janek

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