Moin Leute. Ihr wisst ja: "Es ist ganz leicht das Rauchen aufzugeben. Ich habe es schon hundert mal geschafft." (Mark Twain)

Donnerstag, 7. Juli 2011

Columbo ist tot

Columbo ist tot

Da sehe ich doch letztens, das ist so ungefähr vierzehn Tage her, aus dem Küchenfenster von meinem Leuchtturm.
Es war noch ziemlich früh am Morgen – lass das so halb sechs gewesen sein , aber es war schönes Wetter und da steh ich dann immer ein bisschen früher auf.
Da sehe ich, unten auf dem Poller am Hafenbecken da sitzt einer.
Hein Wernersen – ist `n ganz alter Kumpel von mir, wir kennen uns ewig.
Der ist normalerweise für die Strandkörbe zuständig, im Sommer wenigstens.
Ist ein gestandener Bursche, ein Kerl wie ein Großmast, aber jetzt sitzt der da unten so rum, und das macht keinen guten Eindruck – ich kann nicht sagen warum, aber irgendwie...
Na, dann bin ich da mal zu ihm runter.
Mensch Hein, moin“, sag ich.
Moin, Janek.“
Und wie isses, alles gut?“
Alles Schietkram... irgendwas stimmt nich - ich komm den Deich nicht mehr runter.“
Wie, du meinst `nicht mehr hoch`.“
Nee nee, ich meine `runter`.“
Wat?“
Ja“, sagt er, „ich bin heute morgen...also ich bin den Deich rauf und das ging fast gar nicht. Na gut, denk ich, jetzt geht das bergab und dann wird das bestimmt leichter. Aber dann bin ich unten angekommen und fühl mich, als hätte ich einen tausend-Meter-Lauf hinter mir. Mir tat die Brust weh – alles war so eng da... ich hab Sorge, dass das vielleicht die Pumpe is.“
Ach was“, sag ich, „die Pumpe. Das ist bestimmt nicht die Pumpe, nee, das is was anderes. Das sind verklemmte Blähungen oder so.“
Tatsächlich?“
Ja, so was gibt das. Das kannst du haben, da ist der ganze Bauch und alles so voller Luft, und das drückt denn so da hin und da so hoch. Und wenn du das nicht los werden kannst, denn hast du das Gefühl, die Pumpe macht bald schlapp.“
Sag bloß.“
Ja“, sag ich, „das Herz ist das nicht – da musst du mal zum Homöopathen hin, der gibt dir da was für.“
Meinst du?“
Ja, der Doktor... Sowieso, der is eigentlich kein richtigen Doktor, das is so ein Naturheilfritze, der weiß da was von. Du brauchst dir ja wegen so was nicht gleich die ganze Chemie da in den Kopp zu hauen.“
Wenn Du das sagst“, sagt Wernersen, „denn versuch ich das doch mal.“

Der Wunderdoktor hat ihn mit `Iris – Diagnose`, oder wie das heißt, untersucht und hat ihn auch so überall befühlt und gemeint: „Herr Wernersen da ist alles verbläht und übersäuert. Ich gebe ihnen mal ein paar Tropfen. Dann wird das auch wieder.“
Da war Wernersen ganz fröhlich damit, ist doch klar.
So richtig überzeugt war er allerdings dann doch nicht. Einen Termin beim Hausarzt kann man ja trotzdem mal machen, hat er gedacht, das schadet ja nicht – obwohl... Eigentlich geht unsereins da ja gar nicht hin - ich auch nicht.
Die verschreiben einem doch nur all so einen pharmazeutischen Kram; das ist doch alles Gift. Da nimmst du eine Pille gegen Kopfweh und dann hast du nachher den Skorbut am Mors oder irgend so was – da braucht man nur mal die Packungsbeilage zu beachten.
Hein hat sich einen Termin geben lassen, für ne Woche später.
Er wollte die Tropfen vom Homöopathen nehmen, und denn würde der Doktor da natürlich auch nichts finden. Weil das ja doch alles nur Blähungen sind.
Nun, dann wurde das durch die Tropfen auch ein bisschen besser, und er musste immer so aufstoßen, und das war gut - das klingt nicht vornehm, aber das hilft.

Am nächsten Mittwoch ist er dann zu dem Doktor hin, zu Dr. Kröger.
Der ist wohl ein ganz feiner Kerl, meine Frau geht da ja auch hin, aber Hein meinte der hatte einen Händedruck wie ein Messdiener - so schön zart und wabbelig.
Da hat der Kröger ja auch schließlich lange für studiert“, hab ich gesagt.

Also Wernersen ist da hin, und dann hat der Doc ihn auch gleich ins Verhör genommen.
Sie sind ein bisschen zu dick“, hat er gesagt.
Ich bin doch nicht dick, ich bin kräftig.“
Rauchen sie denn auch?“
Jau, rauchen tu ich.“ ( Das war die falsche Antwort.)
Wie viel?“
Na, vielleicht so zwanzig Stück. Aber nur ganz dünne Selbstgedrehte.“
Das ist gefährlich, so in Ihrem Alter...“
Wieso, ich bin fuffzich.“
Genau“, sagt der Doktor, „da geht das dann alles los – Risiko, Risiko...zu wenig Bewegung, zu gutes Essen – trinken Sie Alkohol?“
Oh, Alkohol würde ich das jetzt nicht direkt nennen. Nicht in dem Sinne jedenfalls. Nicht viel und auch nicht regelmäßig.“ (Das war gelogen)
Dann hat der Doktor ihm Blut abgenommen, das konnte Hein ja nun gar nicht ab – das geht mir aber genauso.
Nicht etwa, dass ich da Angst vor hätte, aber wenn die da rein pieken und zapfen dir da das Blut da ab ..nee, und vor allem nicht am frühen Morgen; und auf nüchtern Magen schon mal gar nicht.
Dann haben sie ihn an einen Apparat mit solchen Saugnäpfe angeklemmt - EKG heißt das, glaube ich; wieder so eine Abkürzung die keiner versteht. Damit kann man sehen, ob dein Herz auch richtig funktioniert.
Aber da war nichts.
Alles prima, sagt Wernersen, die Sprechstundenhilfe war auch zufrieden mit ihm. Und sie hatte einen sehr kleinen, schwarzen Schlüpfer an, den konnte man durch die weiße Hose sehen – das war wenigstens ein Lichtblick in dieser antiseptischen Stätte.
Ich sah aus, sagt Hein, als hätte mich irgend so ein Krake überfallen – als sie die Saugnäpfe denn wieder abgemacht hatten.
Dann musste er noch zum Ultraschall, aber da war auch alles beisammen da innen drin, und schwanger war er auch nicht.
Nur seine Brust war vollgeschmiert mit so einen Glibber, den man sonst extra beim Erotik – Versand bestellen muss. Da wollten sie ihm aber nichts von mitgeben.

Gut“, hat der Doktor gesagt, „wir wollen trotzdem lieber nichts riskieren, und darum gehen sie mal nächste Woche noch zum Kardiologen.“
Ein Kardiologe, das ist ein `Pumpendoktor` könnte man sagen.
Wernersen hat `ne Überweisung gekriegt und auch schon mal allerhand Medikamente gleich mit.
Ich sag: „Was is das denn alles?“
Das soll ich jetzt alles hier einnehmen, ich weiß auch nicht - nehm ich ja sonst normalerweise gar nichts von, von dem Zeug...“
Guck mal“ ,sag ich, „das hier is doch Ameisensäure, oder wie das heißt. Das ist so was wie Aspirin.“
Ach“, sagt er, „denn is ja gut; denn krieg ich ja auch keine Kopfschmerzen vom Saufen mehr.“ Und grinst.
Nö“, sag ich, „kannst du ruhig nehmen.“

Er hat immer schön seine Tropfen von dem Homöopathen und das Aspirin genommen und, wollen mal sagen, es ging ihm jetzt nicht wirklich gut; so richtig schlecht aber auch nicht. Zumindest im Halbschatten auf der Terrasse, da hatte er überhaupt keine Probleme.
Nun war eine Woche später den Termin beim Kardiologen, und da war ihm doch schon etwas mulmig. So ein Herzdoktor, da hat man ja noch nie was mit zu tun gehabt .
Aber“, hat Hein gesagt, „weißt du, ich brauch da eigentlich ja gar keine Angst davor zu haben: Weil, die werden da ja nix finden. Der Kröger hat ja auch nichts gefunden mit sein EKG, und denn wird der andere auch nichts finden. Sind ja nur Blähungen.“
Genau, hab ich gesagt, das denke ich doch auch.
Am Mittwoch Morgen ist er dann um halb zehn da hin. Im Wartezimmer saßen nur alles alte Leute, so Grauköppe.
Gut, ein etwas jüngerer Kerl saß da auch, aber der war so fett, der wog wenigstens hundert-fünfzig Kilo und mehr – da war Wernersen doch erleichtert.
Weil, so alt ist er nicht und so dick ist er auch nicht – und da konnte ihn das alles auch gar nicht betreffen hier.
Die würden gar nichts finden, die Spezialisten.
So nach einer halben Stunde, er hatte die `Gala` kaum ausgelesen, riefen sie ihn auf und er musste zum Doktor rein.
Der fing denn auch den gleichen Quatsch zu fragen an: „Rauchen Sie?... Was wiegen Sie?... Wie groß sind sie?“ – also eben den ganzen Blödsinn nochmal von vorne.
Als ob das irgendwas helfen würde, oder auch nicht.
Na ja, dann musste Hein wieder zum EKG, aber diesmal mit so einem Trimm- dich-Fahrrad. Da ist er drauf, und die Sprechstundenhilfe kam dann auch wieder mit den Saugnäpfen an.
Da sollte er jetzt mal strampeln, aber das war kein Problem, das schaffte er so locker wie nur irgendwas, und die junge Dame guckte auch ganz zufrieden auf ihren Monitor. Dann wurde das auf einmal schwerer zu treten, einfach so.
Mensch, denkt Wernersen, komm Junge, das schaffst du – und er hat denn auch mal `n bisschen Gas gegeben.
Moment“, meinte da die Schwester, „mal nicht so übertreiben hier.“
Ach“, sagt Hein, „das is doch alles kein Problem hier, das schaffen wir doch mit links.“
Dann wurde das Ding wieder schwerer zu treten, ich meine, das war ja nun auch nicht fair.
Als das dann zum vierten mal schwieriger wurde, kriegte er das fast gar nicht mehr gedreht, und sein Herz fing ordentlich an zu wummern – aber das ist ja auch klar bei so einer Belastung.Wir sind solche Bergtouren hier doch gar nicht gewöhnt.
Dann durfte er aufhören und der Doktor kam an, und hat sich das angesehen, und meinte: „Da müssen wir Ihnen wohl mal Blut abnehmen.“
Nee“, sagt Wernersen, „brauch ich nicht - das hab ich doch letzte Woche erst.“
Da ließ sich der Doktor aber nicht von überzeugen.
Dann durfte Hein sich wieder anziehen.
Ja Herr Wernersen“, hat der Doktor gesagt, „ hier ist der Befund. Da müssen wir was machen, das geht so nicht weiter. Hier, diesen Schein, den müssen Sie mal eben unterschreiben.“
Wie“, sagt Wernersen, „ unterschreiben?“
Mit Ihrem Herzen ist etwas nicht in Ordnung.“
Was soll damit nicht in Ordnung sein?“
Das wissen wir eben noch nicht, und darum müssen wir da mal nachsehen.“
Nachsehehen?“
Das ist alles nicht weiter wild. Da machen wir einfach einen kleinen Eingriff im Krankenhaus. Sind Sie allergisch gegen Kontrastmittel?“
Wernersen ist allergisch gegen alles, was auch nur im entferntesten mit Krankenhaus zu tun hat.
Der Doktor hatte dann auch schon gleich so einen Zettel parat und da allerhand drauf angekreuzt – Linksherzkatheter, irgendwas mit Konorar...fragmichnich, und denn was von wegen PTCA, und denn noch Stent- Implantation und Laevokardiodingens. Alles, das komplette Programm.
Hein wusste überhaupt nicht, was er davon halten sollte.
Gut, da waren so allerhand bunte Bilder für die Analphabeten drauf; so vom Herzen wie das so aussieht und wo das denn beim Menschen so sitzt - damit man das auch mal weiß...
Und auch so`n paar Querschnitte durch irgendwas; wahrscheinlich durch eine Ader.
Dann kam raus: Die wollten ihm da so einen Draht einführen! Unten von der Leistengegend bis oben zum Herzen hoch. Dahin wo der Dreck die Ader verstopft, und mit ein Ballon wollten sie das da aufblasen, und das sollte denn wohl die Arterie wieder gangbar machen. Und dann sollte da so ein Ding rein, wie ein Hohlraumdübel, damit das dann auch nicht gleich wieder dicht geht; und all so was.
Wernersen war da im Moment völlig überfordert .
Da muss ich aber erst mal meine Frau nach fragen, was die denn da wohl zu sagt...“
Ihre Frau fragen? Wenn sie erst mal tot sind, brauchen Sie nicht mehr zu fragen“, meinte da der Doktor. Ein sympathischer Mensch.
Ja, hat Hein da gesagt, denn wollte er sich wieder melden.
Da brauchen Sie sich nicht `wieder melden“, hat der Doktor gesagt, „entweder heute oder morgen.“
Is das denn so eilig?“
Ja, das ist so eilig, das muss jetzt passieren.“
Ich ruf denn an“, hat Wernersen gesagt und fluchtartig den Raum verlassen. Da musste er raus, aus dem Schuppen – erst mal tief Luft holen, eine rauchen.
Er ist nach Hause und war natürlich fertig mit der Welt, kann man sich ja vorstellen. Ich hab ihn dann noch getroffen. Der war ganz blass, hat auch gar nicht viel gesagt.
Wir sind noch ein Bisschen gegangen; Sagt er: „ Weißt du Jan – ich glaub, das machen wir lieber nich, oder?“
Sag ich, ja...das weiß ich jetzt auch nich.
Ach, ich ruf da an“, sagt er, „ und sag das ab, das wird schon. Das is nur ein verklemmtes Bäuerchen, da nehm ich meine Tropfen und denn is gut. Die wollen einen doch nur Angst machen.“
Wenn du meinst, sag ich.

Hein hatte das schon fest beschlossen, da ruft sein Hausarzt ihn an und sagt: „Tja Herr Wernersen, da müssen sie dann ja wohl hin, der Kollege hat mich angerufen.“
Sagt Hein: „Das weiß ich jetzt aber nicht Herr Doktor, ich meine, ich hab noch nich mit meiner Frau gesprochen, wer die Kinder abholt und so. Ich werde mich aber darum kümmern, ganz bestimmt“, und hat dann auch tatsächlich bei dem Kardiologen angerufen.
Hallo, hier is Hein Wernersen... ich wollte das nur mal eben absagen.“
Ist gut, sagt die Sprechstundenhilfe, dann wissen wir Bescheid – tschüss auch.
Zehn Minuten später ruft der Hausarzt wieder bei ihm an und macht Dampf, macht da richtig Ärger und meint: „Also Herr Wernersen, bei mir brauchen Sie nicht mehr vorbei kommen. Wenn sie übermorgen tot im Garten liegen – denn sind wir beide geschiedene Leute... wenn Sie nicht machen, was man Ihnen sagt.“
Das war ja nun starker Tobak
Gut, also hat Wernersen nochmal angerufen, bei dem anderen Arzt, und sagt: „Ich hab mir das anders überlegt, denn machen wir den Termin eben doch.“
Ja Herr Wernersen, hat die Sprechstundenhilfe gesagt, denn kommen sie man morgen früh, halb zehn, mit nüchternem Magen. Kein Kaffee und kein Tee und kein Nix und so.

Abends hat Hein das seiner Elfriede alles gebeichtet und gesagt: „Hier, pass` auf, wenn ich morgen nich wieder komm, denn weißt du Bescheid. Ich hab mir das hier mal durchgelesen, so mit den Risiken und Nebenwirkungen – da kannst du so ziemlich alles von kriegen was du dir vorstellen kannst. Wenn ich demnächst im Rollstuhl sitz` und bisschen blöde aus der Wäsche gucke, dann darfst du dich nich wundern. Dann haben die da Mist gebaut, aber das geht in Ordnung – da hab ich für unterschrieben.“
In dieser Nacht hat Hein gar nicht gut geschlafen. Hat geträumt von langen, gebogenen Drähten, von dicken Schläuchen die vorne so kleine Zähne hatten und die sie ihm überall einführen wollten.Von langen Nadeln und von lüsternen Krankenschwestern, die immer unter sein Nachthemd gepeilt haben - all so was eben.

Am nächsten Morgen hab ich mein Köfferchen gepackt“, hat Wernersen mir später erzählt, „ noch eben die Kinder zur Schule gebracht, und dann bin ich Richtung Krankenhaus.
Da hab ich auch dummerweise gleich einen Parkplatz gefunden, sonst hätte ich ja noch mal wieder weg fahren können...
Ich bin die Freitreppe rauf zum Eingang hin, und da saß so ein junges Mädel auf einer Bank – und die arme Deern hat geheult wie ein Schlosshund. So was um halb zehn, das war ja schon mal ein schlechtes Omen. Ich meine, ich bin nich abergläubisch, aber ein schlechtes Omen erkenn` ich trotzdem.
Oben neben dem Haupteingang is die `arme – Sünder – Ecke`, da sitzen die ganzen traurigen Gestalten die sich das Rauchen noch immer nicht abgewöhnt haben.

Sie brauchen sich nicht anzumelden“, hatte der Kardiologe gesagt, „Sie fahren einfach mit dem Fahrstuhl hoch in den neunten Stock, die wissen da schon Bescheid.“
Also bin ich da hoch gefahren und hab` geklingelt, und die haben mich da auch gleich rein gelassen. Ich hab meine Papiere vorgezeigt und sollte denn wieder so einen Wisch unterschreiben. Von wegen, dass da wieder keiner an Schuld is, wenn vielleicht doch was schief gehen würde, und so weiter. Das würde ich denen dann auch nicht übel nehmen dürfen, weil das wäre dann ja `Künstlerpech` oder ein `künstlerischer Fehler` oder wie man im Fachjargon dazu sagt.
Dann hat mich eine von den Schwester in ein Krankenzimmer geführt, da standen vier Betten rum, und da waren drei von belegt mit drei alte Kerle.
Ja“, hat die Schwester gesagt, „dann ziehen Sie sich mal ganz aus, und hier, dieses Hemd, das streifen Sie denn mal über. Ich bin gleich wieder da.“
Das war mir ja doch etwas peinlich.
Wie, alles ausziehen?“
Ja, haben die anderen Mackers gesagt, alles ausziehen. Nur die Socken darfst du anbehalten.
Stehen die Weiber hier auf so was, oder wie?“
Da mussten die Burschen ja alle mal Lachen – nur der eine nich, der war noch nicht dran gewesen.
Die andern beiden waren schon durch mit der Untersuchung, und die waren auch ganz fröhlich und erzählten sich was vom Krieg und so - dass der eine bei der Waffen SS damals nich genommen worden war, aber dann doch zur Marine gekommen ist; was ja auch viel besser war. Dann kamen sie auf Afghanistan, und dass das alles da gar kein anständiger Krieg is, und so, und denn auf schwule Politiker, und dass es so was früher nich gegeben hat – da konnte man von Adolf halten was man wollte. Was man sich eben alles so erzählt.
Ich hab mich denn ja auch ausgezogen, und das komische Hemdchen an.
Nee, meinten da die anderen, den Schlitz musst du nach hinten machen, vorne soll das zu. So ein Blödsinn, warum war das hinten offen, da brauchte doch keiner dran.
Das Ding war auch viel zu eng und ein bisschen kurz – ich meine, wer läuft denn schon so rum?
Erst wollte ich `n bisschen schummeln und die Unterbüx anbehalten, denn kam aber die Schwester und sagt, nee nee, das muss auch aus da.
Da konnte ich ja nu nichts gegen machen, und hab mich in das freie Bett gelegt.
Dann kam die junge Dame an und hatte einen Rasierapparat dabei. Damit hat sie mir erst mal die Bikinizone rasiert, so was is mir ja noch nie untergekommen.
Ich meine, die war zum Glück nich so wirklich hübsch, sonst hätte das ja man erst richtig peinlich werden können...
Dann wollte sie mir eine Kanüle legen, und meinte, ja – die Adern wären ja auch nicht so richtig gut.
Wat?“ sag ich, „ die Adern die sind prima, die sind noch wie neu. Wenn die mir sonst `ne Spritze geben, denn finden die immer sofort eine.“
Da muss man ja auch immer nur so ein klein bisschen rein“, sagt sie, „aber wir müssen hier ja viel tiefer.“ Dann hat sie mir denn die Nadel gezeigt, und die war bestimmt so lang wie mein Daumen. Mir wurde ein bisschen blümerant, kannst du dir ja wohl vorstellen. Sie hat dann den anderen Arm genommen, weil der eine schon blau wurde, und da einen Anschluss gelegt.
Der Opa neben mir war an der Reihe und wurde raus gefahren, war `n bisschen blass der Gute, und hat gesagt: „Wenn ich da heil wieder raus komme, kauf ich mir einen BMW.“ Und ich konnte mir denn erst mal eine halbe Stunde die Decke angucken. Dann brachten sie den Opa wieder und der war erstaunlich gut zu Wege, bei dem war wohl nichts schief gegangen. Aber sie sagen ja auch immer, einer von zehn is dran – weißt du wie viele vor dir waren? Nee, das weißt du nicht.
Dann haben die Schwestern mich da raus gefahren, das war wie im Kino; du liegst platt auf dem Rücken und über dir fährt die Zimmerdecke vorbei. Erst kam eine Leuchtstoffröhre, dann ein Rauchmelder, dann ein Ventilator und wieder eine Leuchtstoffröhre, und so weiter. Dann waren wir beim OP angekommen und die sind da mit einigem Schwung um die Kurve gefahren und fanden das lustig - hatten ja auch keinen Grund bedrückt zu sein.
In dem OP – Saal waren so riesige Apparate aufgebaut, ein paar große Bildschirme und hinter einer Glaswand war wohl die Kommandobrücke, da saßen denn die Ärzte. Dann haben die Schwestern mich ganz ausgezogen - das war dann nicht nur peinlich, dann war das auch noch kalt.
Herr Wernersen“, sagt eine von den Schwestern, „ Sie sind ja wohl auch ganz schön aufgeregt, ich könnte ihnen da so ein kleines Beruhigungsmittel geben – wenn Sie wollen.“
Also, wenn das wieder mit `ner Spritze zu tun hat“, sag ich, „ dann mal lieber nich, dann halten wir das auch so aus. Von wegen: Matrosenherz kennt keine Feigheit...“
Nee“, sagt die, „ Sie haben die Kanüle da ja schon liegen, da können wir Ihnen das einfach so verabreichen.“
Gut, sag ich, denn gib mal ruhig ein Schluck davon, kann ja nicht schaden.
Ich meine, vielleicht war so was ja ganz angenehm. War das auch.
War ein gutes Zeug, muss ich schon sagen, da machte sich bei mir gleich so eine „leck mich am Arsch – Stimmung“ breit. So was müsste man zu Hause haben, wenn die Liebste mal wieder schlechte Laune hat.
Dann kam der Doktor in voller Maskerade, so mit Mundschutz und dicker Brille und hat angefangen da rumzustochern – da hat man aber nichts von gemerkt.
Auf dem Monitor konnte ich richtig das Herz sehen, und im Hintergrund auch die Wirbelsäule, das war interessant. Denn haben sie da immer das Kontrastmittel rein gespritzt und dann hast du das richtig gesehen, wie die olle Pumpe denn pumpt, und die dicken Adern da, wie das alles so arbeitet. Wenn man das Beruhigungsmittel intus hat, kannst du da ganz entspann zusehen. Man sah auch den Draht da rein gehen, und wie der Doktor mit dem Ballon das alles wieder geweitet hat. Denn haben sie diesen Spreizdübel da eingeführt, damit alles auch wieder schön läuft und denn war das damit auch schon erledigt.
Nur noch ein bisschen Blut abwischen, dann haben sie mich zurück in das Zimmer gefahren.
Die anderen Jungs hatten sich schon wieder angezogen – die konnten am gleichen Tag noch nach Hause. Sie sollten nur noch etwas im Zimmer auf und ab gehen um zu sehen, ob das da unten nicht auch wieder aufplatzt. Das kann passieren, und dann ist es natürlich besser, wenn die Schweinerei im Krankenhaus und nicht im Bus passiert – weil, da kann man ja besser aufwischen wegen dem Linoleum und so.
Mich wollten sie da behalten.
Ja, sagte die Schwester, Sie gehen bis morgen auf Station. Sie haben ja den Stent bekommen.
Das fand ich ja nun gar nicht witzig; die ganze Nacht noch im Krankenhaus bleiben - da rumhängen, und auch noch da pennen und so.
Inzwischen hatten sie noch zwei neue Kandidaten gebracht.
Der eine erzählte, er hätte jetzt schon den zweiten Herzinfarkt hinter sich, und den Katheterkram den kennt er schon. Aber er fand das alles gar nicht so schlimm, dann kam er wenigstens mal von zu Hause raus. Seine Frau hatte vor zehn Jahren Hirn-bluten gehabt, und ist seit dem gar nicht mehr ansprechbar, die liegt da nur noch rum und weiß nichts mehr. Er muss sie pflegen, und die Kinder würden sich da auch nicht drum kümmern - da wäre das hier doch mal eine ganz schöne Abwechslung, so im Krankenhaus. Dann nimmt der seine Wasserflasche und ich sehe, dass der Kerl an der rechten Hand nur noch einen Daumen hat – die Finger alle ab. Der hatte wohl auch mal Tischler gelernt.
Der andere hatte so eine große Tätowierung auf der Schulter, ich weiß jetzt nicht wie man so was nennt – war nichts schickes oder so. Mehr so ein Schnörkelkram, so ein „Tribal“; irgendwie barock, wie von Omas Schrankwand abgekupfert. Ansonsten sah der ein bisschen nach Bodybuilder aus, obwohl der auch eigentlich ein alter Sack war. Ganz sportlich und gut in Form, aber siehste ja, hat ihm auch nichts genützt.
Mit dem kam ich dann auch aufs gleiche Zimmer. Hans hieß der, war ein netter Kerl. Da oben auf unserem Zimmer, da war einer, der wohnte da.
Der hatte so eine tiefe und angenehme Stimme, aber das kam von der Kanüle; wo andere Leute einen Kehlkopf haben, da hatte der ein Loch. Es stellte sich raus, der hatte Krebs, und sie hatten ihm schon alles weg genommen, was da weg zu nehmen war.
Ja, sagte der, als nächstes werden die wohl den ganzen Kopf amputieren, wenn da noch mehr Krebs kommt. Er ging nur ab und zu nach Hause um frische Wäsche zu holen, weil Familie hatte er nicht.
Ab nächste Woche kriege ich Bestrahlung, hat er gesagt, und wenn das alles auch nicht hilft, dann kauf ich mir ne Schachtel Kippen und ne Pulle Schnaps und dann gehe ich Aale fangen.

Ich konnte nicht so richtig schlafen, ich meine, ich gehe ja noch nicht mal in ein Hotel oder eine Pension – und denn hier mit zwei fremde Kerle auf einer Bude.
Ich hab mich dann mal runter geschlichen in die Raucherabteilung, da unten neben dem Haupteingang. Das durfte der Oberarzt ja auch nicht sehen – obwohl eigentlich kann dem das doch ganz egal sein. Ich meine, was regen die sich auf – wenn es keine Raucher gäbe, dann würden die ihre komischen Kanülen und Implantate doch gar nicht los werden. Dann würden die doch mit einem Fiesta fahren, oder einem alten Golf; die verdienen doch ein Schweine Geld damit, dass andere Leute krank sind.
Musst du nur mal in die Tiefgarage vom Krankenhaus gehen und gucken was da so alles rum steh – denn weißt du aber Bescheid.
Da unten saßen sie denn, die ganzen armen Mädels und Jungs – das ist denn ja auch schon richtig heftig, wenn du die siehst. Arme ab, Beine ab, keine Haare und solche Beutel hängen da an der Seite raus, und alles...
Da kommt man sich richtig lächerlich vor, mit dem kleinen Draht, den man da an der Pumpe hat. Da gibt es ja ganz andere Fälle - und die saßen da ja auch, die „anderen Fälle“. Nur schmöken taten die alle noch, ganz egal ob Krebs oder Herzinfarkt, oder was weiß ich. Dann fing das an zu regnen, und denn saßen die armen Burschen in der Nässe rum. Könnte man denen nicht mal ein etwas angenehmeres Plätzchen machen ? Sterben doch sowieso alle demnächst.
Am nächsten Morgen haben sie uns dann um halb sieben geweckt, was ja auch eigentlich ein ziemlicher Unsinn ist, weil man sich doch erholen soll.
Dann bekam jeder eine Scheibe Graubrot und ein Brötchen, bisschen Butter und Marmelade – aber egal, der Kaffee war gut, und ich wollte nach Hause.
Es kam mir vor, als ob ich wenigstens acht Wochen da gewesen wäre.
So gegen neun musste ich runter in die andere Abteilung und da haben sie mir den Druckverband abgemacht. Da war ich froh, denn das Ding hatte sich wie ein Ziegelstein angefühlt, konnte man kaum mit laufen.
Die Schwester hat ein normales Pflaster aufgeklebt und gesagt, wenn das wieder anfängt zu bluten, dann müssen sie sofort den Krankenwagen anrufen.
Dann durfte ich raus.
Als ich zu Hause angekommen bin, war da keiner. Die Frau auf der Arbeit, die Kinder in der Schule – keine Blumen, kein Empfangskomitee.
Aber ich war noch immer da, damit hatte ich nicht gerechnet.“

Zwei Tage später saßen Hein und ich auf der Bank oben auf dem Deich und sahen uns den Sonnenuntergang an.
Wusstest du, dass Columbo gestorben ist“, sag ich.
Nee“, sagt Wernersen, „wie alt ist er denn geworden?“
Ich weiß nicht genau, aber ein ganzes Stück über achtzig.“
Der hat doch auch geraucht, oder?“
Ja, hat er.“
Siehst du“, sagt Wernersen, „ hab ich doch gewusst, dass das da dran nicht liegen kann.

Samstag, 18. Juni 2011

Pale Sister

Pale Sister

Ich steckte das Photo in meine Jackentasche zurück. 
Nur ein Junge der im Sonnenschein einen Apfel aß war darauf zu sehen, mehr nicht. 
Meine Güte, dachte ich, wie lange war das jetzt her, dass ich selbst einen echten Apfel gegessen hatte - dreißig Jahre, oder mehr?
Ich schloss das Gartentor hinter mir und ging den Kiesweg entlang – der Rasen könnte auch mal wieder geschnitten werden, dachte ich. 
Guten Tag Commander Smith.“ Die Haustür hatte mich identifiziert und schwang lautlos nach innen.
Ich begab mich, an der Küche vorbei, direkt zum Wohnzimmer. „Hallo Mädels, ich habe da was für euch“, sagte ich in den abgedunkelten Raum hinein aber sie hörten mich nicht. 
 
Meine drei Grazien lagen vor dem Bildschirm.
Sie trugen diese dicken Plastikbrillen die für den 3D – Effekt sorgten und Kopfhörer für den Ton in Surround.
Sie waren bleich wie chinesische Gräfinnen - bleich genug, um zu gefallen; kein Sonnenstrahl durfte sie treffen . Man wollte sich auf dem Schulhof schließlich nicht blamieren
Die Augen hatten rot zu sein, die Lider bläulich, und wer es schaffte seine Haut in blasses Pergament zu verwandeln, hatte gute Chancen auf den „Pale Sister“.
Der `Pale Sister` ist mehr als nur eine Auszeichnung für die Besten, es ist ein Award der über die Namenlosen herrscht - der Traum und das Ziel.
Die Mädchen verglichen oft ihre Unterarme, um zu sehen, bei welcher wohl die Adern und Sehnen am deutlichsten hervor traten und ob sie auch die richtige Farbe hatten.
Es war nicht mehr die Frisur die zählte, nicht groß oder klein, und wenn Dünne auch immer gute Chancen hatten, so konnten trotzdem auch Üppige gewinnen wenn nur eine Krampfader in der richtigen Farbe ihren Busen zierte.
Alles hatte sich überholt. Die Piercings, die Brandings und die Tätowierungen sowieso. Wie albern, wer damit herumlief.
Wie reizlos, wie muffig, wie abgeschmackt.

Kultur ist das Gegenteil von Natur. Kultur kommt von Kunst. Kunst von künstlich. `Künstlich` ist das Wort! Aus dem freien Geist der Freien geboren“, wie W.C. Cult immer so treffend sagt, „frei in dem Streben nach wahrer Schönheit, ohne göttliches Zutun“.
Viele hatten es versucht. Alle waren gescheitert.
Sie hatten sich bis zur Unerträglichkeit Farbe unter die Haut gejagt.Oder Stahlkugeln. Oder Nägel. Die Zunge gespalten, ein Auge ausgestochen oder die Lippen amputiert. Nur um der Wahrheit, der Individualität willen.
Sie waren Helden.
Sie waren lächerliche Helden, aber sie waren unsere Vorkämpfer und Sie hatten die Idee von „Pale Sister“ erst möglich gemacht.
HumART heißt die Gesellschaft, die den begehrten Preis verleiht und ihr Präsident und Vordenker ist: W.C. Cult.
Ein unscheinbarer kleiner Mann, der immer graue Anzüge trägt die keine Taschen haben, als Zeichen für seine Unbestechlichkeit. Er trägt keine goldenen Ringe und nicht einmal eine teure Armbanduhr, aber diese Unauffälligkeit ist es wohl, die seinen machtvollen Status umso mehr unterstreicht.
Der Preis geht an die ARTigen, wie man sagt. Je weniger die Äußere Erscheinung dem Natürlichen ähnelt, desto ARTiger, desto besser. W.C. Cult spricht jeden Tag zu uns auf ARTV und die Sendung wird rund um die Uhr wiederholt; andere Sendungen gibt es nicht.
Alle zehn Minuten gibt es Werbung und da wird alles feilgeboten, was man braucht um das hohe Ziel zu erreichen. Von Implantaten, über entstellte Gliedmaßen, bis hin zu Medikamenten, die alle möglichen Störungen im Organismus verursachen.
Gelenkte allergische Reaktionen“, waren bis vor kurzem noch auf jedem Wunschzettel zu finden, aber im Moment heißt die oberste Devise: „ Durchscheinende Haut und Adern in leuchtendem Pastell.“
Die Mädchen klebten jede freie Minute in dämmriger Dunkelheit vor dem 3D- Schirm. Ich war besorgt.

Ich berührte den Taster und die Wände des Wohnzimmers wurden langsam hell.
Hey, was soll das? Bist du verrückt? Mach` das Licht wieder aus!“
Ja, Papa, das Bild wird unscharf.“
Ich lächelte. „Nein, setzt mal die Brillen ab, ich will euch etwas zeigen.“
Etwas zeigen? Hast du uns was mitgebracht?“
Ich nickte.
Sie warfen ihre Brillen beiseite.„Was ist es? Was hast du uns mitgebracht? Blutdruckpillen? Austrocknungscreme? Antivitamin?“
Nein, ich habe etwas auf dem Dachboden gefunden. Hier, seht mal.“
Was soll das sein?“
Das ist ein Photo von eurem Großvater.“
Was ist ein Photo?“
Ein Photo, ist ein Bild.“
Das ist kein Bild. Es bewegt sich nicht.“
Früher war das so.“
Aber das ist kein Großvater, das ist ein Kind. Ein hässliches Naturkind.“
Oh nein, seht mal, er steht in der Sonne. Er wird eine ekelig braune Hautfarbe bekommen.“
Er hat keine Augenringe, keine Narben und keine Implantate. Papa, warum zeigst du uns so was? Sollen wir schlecht schlafen, oder wie?“
So sehen Menschenkinder eigentlich aus. Damals, zu Opas Zeiten jedenfalls“ sagte ich.
Die Armen. Gut, das wir nicht mehr so gruselig natürlich sein müssen. Was isst der da eigentlich?“
Das ist,“ ich griff in meine Jackentasche, „das ist ein Apfel - ein echter. Wollt ihr mal probieren?“
Sie wichen zurück, wie Vampire vor einem Kruzifix.
Iiihh, Papa, nimm das weg!“
Nimm es weg, bitte!“
Das ist Natur, es ist ekelhaft!“
Schon gut, schon gut“, ich steckte den Apfel in meine Tasche zurück und lächelte.
Ich muss nochmal los“, sagte ich, „ aber wenn ich zurück bin, ist erst mal Schluss mit Fernsehen, O.K.?“
Die Mädchen rollten sich zurück auf die Polster und gaben keine Antwort – sie wollten sich wohl nicht festlegen lassen.
Ich verließ den Raum und drückte auf den Taster damit das Licht wieder gedimmt wurde.
Erst nachdem ich das Haus verlassen hatte, öffnete ich die Klappe in meinem Unterarm. „Zentrale? Hier ZKNS2050. Die Mädchen sind sauber. Alles auf Linie. Muss eine Fehlinformation gewesen sein“.
Das Foto kam zurück in die Schutzhülle. Der Apfel in die Klimabox .
Ich ging ein paar Schritte in den Garten, dann schaltete ich die Tarnkappe aus. Ein Prototyp, aber sie funktionierte – ich würde einen Bericht schreiben müssen.
Ich ging langsam über den Kiesweg und schloss das Tor sorgfältig hinter mir.
Der echte Mr. Smith würde frühestens in einer viertel Stunde nach Hause kommen.

Montag, 30. Mai 2011

EinTunnel nach Amerika

Ein Tunnel nach Amerika

Seht mal, da drüben“, Tante Gertrud streckte den Arm aus, und ihr kräftiger Zeigefinger deutete über das Meer. „Da hinten, da ist die Ostzone. Da wohnen die... Kommunisten.“ Sie verzog den Mund, als ob sie auf eine faule Miesmuschel gebissen hätte.
Wolli und ich kniffen die Augen zusammen und versuchten etwas zu erkennen, was uns aber nicht gelang.
Wir nickten trotzdem.
Sind die Kommunisten gefährlich, Tante Gerda?“
Sie beugte sich zu mir herunter. „Oh ja, Janek. Die vergewaltigen Frauen, brennen Häuser nieder und stehlen Wasserhähne. Aber ihr braucht keine Angst zu haben, sie dürfen hier nicht rüber. Die werden sofort erschossen, wenn sie es versuchen.“
Erschossen? Von uns?“
Sie richtete sich wieder auf, und ihr Schatten breitete eine angenehme Kühle über uns.
Die erschießen sich gegenseitig.“
Wolli und ich sahen uns an. 
Mit unseren sechs Jahren hatten wir keine Ahnung wovon sie sprach, aber wir waren tief beeindruckt, dass wir in einer so abenteuerlichen Gegend Urlaub machen durften.

Es war im Sommer 1966 und wir waren in Scharbeutz an der Ostsee.
Meine Tante Gertrud, Wolli, der eigentlich Wolfgang hieß, und ich.
Wolli trug eine Kassenbrille,die ihn leicht bescheuert aussehen ließ, und er lebte in Tante Gertruds Kinderheim. Sie war da nur angestellt, aber dass es „ihr“ Kinderheim war, daran hätte niemand zu zweifeln gewagt. 
Sie hatte 15 Kinder in ihrer Obhut, wenigstens zwei (einfache) Erzieherinnen unter sich, und ihr Haar zu einem festen Knoten gebunden.

Wolli war mit drei Jahren vom Jugendamt bei Tante Gertrud einquartiert worden, und im Laufe der Zeit hatte er sich einen besonderen Platz vor dem Fernseher und in ihrem Herzen erkämpft. Darum durfte er auch mit ihr in den Urlaub. 
Mich hatte sie mitgenommen, weil meine Eltern gerade erst ein altes Haus gekauft hatten und jetzt, nach Papas erstem Herzinfarkt, jede Mark zwei mal umdrehen mussten.

In Scharbeutz gab es die Promenade mit ein paar Andenkenbuden und Restaurants. Ein Kino, dass „Tarzan“ mit Johnny Weissmüller zeigte, einige Pensionen und den weißen Steg, der bis heute in die Ostsee ragt.

Wolli und ich bauten enorme Sandburgen, und waren schon nach wenigen Tagen von all den anderen braungebrannten Strandjungs mit strohblonden Haaren nicht mehr zu unterscheiden. 
Wir hatten Freischwimmer - Abzeichen an den Badehosen, der Hosenbund reichte uns hoch über den Nabel und durch die Hosenbeine pfiff der Wind. 
Tante Gerda bewohnte mit Kopftuch, Sonnenbrille und Sommerkleid den Strandkorb. Im Badeanzug habe ich sie leider nie gesehen. 
Sie las anspruchsvolle Boulevardblätter oder döste dem nächsten Milchreis entgegen, während wir Löcher buddelten, die fast bis nach Amerika reichten. 
Wir zerquetschten glibberige Ohrenquallen mit unseren nackten Füßen und hatten Sorge, dass uns eine von ihren berüchtigten Verwandten beim baden erwischen könnte. „Feuerquallen werden manchmal so groß wie LKW Reifen, und sie mögen blonde Jungen“, hatte uns ein freundlicher Eisverkäufer erklärt.
Eines Tages schlummerte die Tante in ihrem Strandkorb, und ich verwandelte mich in `rote Feder`, einen mutigen Strandindianer, der sich unbemerkt anschlich und ihre Sandalen „ausborgte“. 
Ich musste herausfinden, ob das Schuhwerk nicht nur über, sondern auch unter Wasser zu gebrauchen war. Es funktionierte tadellos.
Die Sandalen waren mir zu groß, aber man konnte damit trotzdem prima durchs Wasser waten, und der Sand kitzelte meine Zehen.
Wolli schaute überrascht, sagte aber nichts.
Ich war über meinen gelungenen Versuch hellauf begeistert.
Tante Gerda“, rief ich. „Hallo, Tante Gerda! Sieh mal, ich hab
Taucherschuhe.“ Wollis Augen wurden groß wie Kamm - Muscheln.
Die Tante schaute auf. 
Sie sah sich auf dem Boden um, stemmte sich dann mit Schwung aus dem Strandkorb hoch und stapfte entschlossen auf uns zu. Wolli verkroch sich in unserer Baustelle.

Der Held des Tages, stand bis zu den Knöcheln im Wasser und sah ihr in freudiger Erwartung entgegen. „Sieh mal Tante, richtige Taucher...“ „KLATSCH!“ 
Die Ohrfeige traf mit einiger Wucht meine linke Wange. Unerwartet, unverdient und schmerzhaft.
Du spinnst ja wohl,“ sagte sie und fischte meine Erfindung aus dem Wasser. Ohne ein weiteres Wort drehte sie sich um und stampfte mit geschürzten Röcken zurück in Richtung Strandkorb.
Wolli tauchte wie ein Maulwurf aus seiner Kuhle auf.
Ich hielt mir die heiße Backe, aber heulen tat ich nicht.
Er sah mich halb mitfühlend, halb spöttisch von der Seite an.
Du solltest eigentlich wissen, dass man dem Lieben Gott nicht die Sandalen klaut,“ sagte sein Blick.
Ich nahm meine Schaufel und machte mich wieder an an die Arbeit.
Unser Tunnel muss fertig werden“, sagte ich, „ vielleicht kommen die Kommunisten ja doch hier rüber, dann können wir abhauen.“
Meinst du echt, die kommen?“
Ist alles möglich.“
Der Tunnel ist ganz schön eng, die Tante wird da nicht durchpassen“, sagte Wolli.
Ich sah ihn an und zuckte mit den Schultern.
Wolli lächelte.



Donnerstag, 26. Mai 2011

Waffenbrüder

Waffenbrüder


Wer behauptet, ich sei ein Militarist, nur weil ich bei der Bundeswehr gewesen bin, der ist ein Lügner, denn ich habe immerhin einen sehr persönlichen Beitrag zur Abrüstung des Westens geleistet.
Wer mich dagegen als Feigling bezeichnet und sagt, dass ich meinem Vaterland nicht hätte dienen wollen, der lügt ebenfalls.
Gewollt habe ich, soviel steht fest.

Die Jungs vom Kreiswehrersatzamt hatten mir eine freundliche Einladung geschickt mit der Aufschrift „Persönlich“.
Ein sehr offizielles Dokument.
Sie hielten große Stücke von mir und, obwohl sie mich doch gar nicht richtig kannten, waren sie der Meinung, so stand es da geschrieben, ich würde ganz hervorragend zu ihrer Truppe passen und sollte doch mal vorbei schauen.
Ich fand das nett von denen, dass sie an mich gedacht hatten, aber ich war mir nicht sicher, ob ich ihre Erwartungen auch erfüllen konnte.
Ich erkundigte mich erst mal bei meinen Kumpels am Bahnhof, was denn da wohl so alles auf mich zu kommen würde.
Bruno sagte: „ Bundeswehr ist gut. Bundeswehr muss sein - und vor allem, du hast nen lauen Job da. Du läufst ein bisschen durch die Gegend, schmeißt dich ab und zu mal in den Dreck, aber dann ist auch wieder gut – dann ist Mittag.
Dann machst du ein Schläfchen, danach noch zwei, drei Kniebeugen bis zum Kaffetrinken; anschließend schießt du ein paar Löcher in einen Pappkameraden, danach gibts Abendbrot - deine Vorgesetzten klopfen dir auf die Schulter, weil du alles so gut gemacht hast und schon geht es ab ins Bettchen.“
Genau“, sagte Gerhard, „ da kann man nicht meckern, der „Bund“ das ist schon eine schöne Zeit. Also wenn ich mich so zurück erinnere,...Am Wochenende wird gesoffen, oder ein bisschen mit dem Zug gefahren nach Hause, wenn man will.
Und wenn man nicht will, bleibt man eben in der Kaserne, da ist auch ein großer Zaun drum, da braucht man keine Angst zu haben, dass man vielleicht überfallen wird oder so.“
Das klang nicht schlecht: Drei Mahlzeiten am Tag, ab und zu mal ein bisschen spazieren gehen oder Turnen, das würde ich schon schaffen – ich bin nicht für Turnen, aber egal, man konnte ja mal guten Willen zeigen.
Gibt`s da auch Weiber?“ fragte ich.
Klar“, sagte Bruno, „ jede Menge. Jeden Dienstgrad den du haben willst, und am Wochenende gehst du in die Dorfdisco. Da warten sie schon auf die schicken Kerle in Uniform.“
Da stehen die drauf“, sagte Gerd und grinste mir mit seinen fehlenden Schneidezähnen entgegen, „ die haben alle „Top Gun“ gesehen.“
Und Bier?“ sagte ich „ich meine Bier - gibt es da denn auch ordentlich was zu trinken? Ist das im Preis mit drin, oder muss man das selber mitbringen?“
Ja, also...“ sagte Bruno, „ also Bier gibt es auch,...am Wochenende in der Kneipe. In der Kaserne eigentlich nicht so regelmäßig.“
Das gefiel mir nicht - was soll man mit Mädchen, wenn man kein Bier hat; dann traut man sich doch nicht.
Ich meine, wenn ich schon für mein Vaterland Kniebeugen machen soll und auf Pappkameraden schießen und noch allerhand andere Mätzchen machen, dann können die doch eigentlich auch für Bier sorgen, oder?
Das ist doch nicht zu viel verlangt.
Mir kamen echte Zweifel, ob das denn alles so das richtige für mich sein konnte.
Ich dachte mir: Nein, vielleicht werde ich den hohen Erwartungen dieser Leute ja doch nicht gerecht – und dann? Dann ist es ihnen nachher peinlich, und dann müssen sie eingestehen, dass sie sich mit mir vertan haben.
Der Gedanke war mir unangenehm.
Nee, da wollte doch lieber meinen Platz jemandem überlassen, der weniger Wert auf Bier mit Mädchen legt als ich, und vielleicht auch bessere Liegestütze zustande kriegt und auch noch etwas genauer auf den Pappkameraden schießen kann.
Erst hatte ich gedacht, ich schicke denen eine Karte, wünsche ihnen alles Gute, und versuche zu erklären, dass ich aus persönlichen Gründen lieber doch zu Hause bleiben will.
Aber ich hatte keinen Stift im Haus, und darum ließ ich es sein.
Ich dachte mir es wäre besser, wenn das ganze einfach in Vergessenheit geraten würde.
Weil: „Tote Hunde schlafen nicht“, wie man so sagt.

Eines Tages standen sie vor meiner Tür und hielten mir einen Zettel unter die Nase.
Sie sagten, sie wären die Feldjäger , und ich soll mitkommen.
Das war so gegen halb elf am Morgen, ich meine da ist man ja noch nicht mal wach - aber sie ließen sich nicht erweichen.
Ich fragte mich natürlich, was die Feldjäger eigentlich mitten in der Stadt zu suchen haben, sollen sie doch auf dem Feld jagen, wenn sie denn unbedingt jagen wollen - aber nein, sie wollten mich mitnehmen, darum waren sie hier; und in die Stadt durften sie auch.
Die grünen Männer waren nicht wirklich unfreundlich, ich durfte mich sogar noch anziehen und rasieren und ein paar Kleinigkeiten einpacken.
Sie waren höflich, aber bestimmt - das einzige was mich störte waren die Handschellen; zumal die Nachbarn dann auch alle gleich aus den Fenstern geguckt haben.
Die haben mir hinterher gepfiffen und einer hat gerufen: „Na du versoffener Sack, jetzt ham se dich doch am Arsch gekriegt. Verteidige mal schön unsern Plattenbau, und zeig mal was du drauf hast.“
Ich fand das nicht nett, muss ich ehrlich sagen – zumal ich nicht mehr trinke als jeder andere.
Die Herren, die mich abführten, ließen sich davon nicht weiter beirren und brachten mich in ihrem Lieferwagen zum Stabsarzt.
Der sollte mich auf Herz und Nieren prüfen.
Da hab ich ihm dann gesagt, also das Herz ist gut, die Nieren wüsste ich nicht, das könnte schon sein, die hätten ja auch immer ordentlich zu tun...
Na, dann sollte ich mal eine Urinprobe abgeben, und er gab mir einen kleinen Messbecher und ich dachte – gut, tu ich ihm den Gefallen. Ich meine, man will ja auch niemanden verärgern.
Ich gab mir richtig Mühe, und es war dann nur etwas problematisch das volle Gläschen ohne zu verschütten auf seinem Schreibtisch abzustellen - ging aber.
Der Doktor hatte da schon mehr Schwierigkeiten, das Glas ohne zu kleckern wieder weg zu nehmen, aber da konnte ich ja nichts dafür.
Wenn der am Morgen nicht zittern will, dann soll er am Abend eben nicht so viel saufen, dachte ich.
Er klopfte so an mir herum und prüfte die Reflexe, er guckte mir in den Hals und auch wo anders – das ging mir etwas zu schnell, ich meine, wir waren uns ja kaum vorgestellt worden.
Er stellte fest, dass ich Plattfüße habe und nahm mir Blut ab, was ich übertrieben fand.
Ein bisschen zu fett“, sagte er dann. „ aber das kriegen wir schon.“
Das war eine Bemerkung, die er sich hätte schenken können.
Dann saß ich auf dem Flur in Unterwäsche und Socken und wartete auf das Ergebnis der Untersuchung.
An einem Schreibtisch gegenüber saß eine süße Maus mit einem weißen Kittel.
Die grinst mich an und sagt: „ Na, wo willst denn du mal hin?“
Hin?“ sag ich, „ wo soll ich hin wollen, ich will bald wieder nach Hause. Ich muss mal ein Schläfchen machen, die haben mich mitten in der Nacht aus dem Bett geholt.“
Nein“, sagt sie , „ich meine zu welcher Einheit du willst, zu welcher Waffengattung.“
Darüber hatte ich mir noch nie Gedanken gemacht.
Ich sag: „Ja, was ist denn da so zu empfehlen?“
Marine“, sagt sie, „die Marine hat die schönsten Uniformen. Die sehen wirklich schmuck aus, die Bengels.“ Sie ließ eine Kaugummiblase zerplatzen.
Nein“, sag ich, „ Marine, die haben doch mit Schiffen zu tun, oder?“
Ja“, sagt sie, „ Marine hat mit Schiffen zu tun..“
Nee“, sag ich, „ das is nix für mich, da wird mir schlecht. Das Geschaukel vertrage ich nicht.“
Na, dann vielleicht U-Boot“, sagt sie, „die schaukeln nicht. Und vor allem jetzt, wo es doch die Neuen mit Atom - Antrieb gibt.“
Ich sag: „ U-Boot? - das ist doch unter Wasser.“
Ja“, sagt sie, „ U-Boot hat damit zu tun. Das ist auch unter Wasser.“
Nein, nein“, sag ich, „ unter Wasser, da...da kriege ich ja Budenangst. das geht ganz bestimmt nicht. Ich kann ja auch gar nicht schwimmen.“
Und dann zählte sie mir alle Möglichkeiten auf, die man als aufstrebender Waffenträger so haben kann, und jede Ausbildung, und wie spannend das doch alles ist. Aber wir kamen nicht so recht überein, denn es gab an allem etwas, das mir nicht so richtig liegen wollte. Am Ende blieben nur noch die Panzer.
Panzerfahrer, sagte sie, das würde es doch sein.
Panzer! damit durch`s Gelände heizen, das war doch abenteuerlich und das konnte sie sich gut für mich vorstellen; so mit dem „Leopard“, oder mit dem „Ozelot“ , oder dem „Tiger“ die Heide verwüsten, das war doch besser als Paris – Dakkar.
Was immer das auch heißen mochte.
Sie lächelte mich so bezaubernd an, dass ich sagte: „ Ja, das könnten wir versuchen.
Doch, doch...das könnte vielleicht was sein.“
Und so unterschrieb ich auf dem Zettel, und kreuzte an: Panzerfahrer.
Ich hatte schon immer ein besonderes Faible für Kettenfahrzeuge gehabt, und „Panzer - Fahrer“ war ja auch etwas, das mit „fahren“ zu tun hatte, und fahren fand ich immer noch besser als „laufen“ oder „schwimmen“.
Allerdings hoffte ich im Stillen immer noch auf ein medizinisches Ergebnis, dass mich für untauglich erklärte – große Maschinen hin oder her.
Aber zu meiner Überraschung war ich tauglich.
Gut, dachte ich, du bist gesund, das ist schon mal nicht schlecht – dann brachten sie mich in die Kaserne.
Da war es eigentlich... auch nicht so schön,wie ich gedacht hatte; ich musste mit noch fünf anderen auf einem Zimmer schlafen und das war ich nicht gewöhnt.
Es gab da gar keine Frauen, wie Bruno gesagt hatte, es gab roten Tee, und vor allem standen diese Leute immer in aller Herrgotts-Frühe auf.
Das ging ja gar nicht.
Ich stellte fest: Mein Kumpel hatten mich belogen.
Es war viel mehr Laufen, als er gesagt hatte. Viel mehr Liegestütze, als er gesagt hatte, und das Essen war auch für die Hose.
Nicht besser als meine Ravioli zu Hause, und nicht mal richtig warm.
Es dauerte vier Tage - doch, so lange gab ich ihnen.
Ich brachte ein paar konstruktive Verbesserungsvorschläge ein, aber es änderte sich nichts, und so ging ich am fünften Tag zu meinem Vorgesetzten und sagte: „ Hallo, Herr Major...“
Können Sie nicht anständig grüßen?“ sagte der.
Ich sagte: „Moin“, das gefiel ihm aber auch nicht.
Dann versuchte ich es ihm klar zu machen, und sagte: „ Es ist hier leider doch nicht wirklich so schön, wie ich es mir vorgestellt habe, seien sie da nicht beleidigt; aber ich möchte dann doch lieber den Dienst quittieren – die Probezeit ist ja auch noch nicht vorbei...“
Da schnauzt der mich an: „Stellen sie sich mal gerade hin. Was faseln Sie da für einen Unsinn? Sind Sie denn besoffen, Mann?“
Ich sag: „ Nein, das ist ja gerade das Problem.“
Gehen Sie sofort auf ihre Stube, sagt er, gleich ist Appell und wenn Sie da nicht pünktlich auftauchen Soldat, dann werde ich mit ihrem Arsch den Boden wischen...und was er nicht noch alles erzählte.
Also, er hörte mir gar nicht wirklich zu - er verstand einfach mein Problem nicht.
Das betrübte mich dann doch.
Und so vergingen die Tage, und wir machten Leibesübungen, krochen durch den Dreck, kletterten über Zäune und machten uns die Hosen kaputt - als ob so was irgendeinen Feind beeindrucken konnte. Vielleicht hätten die sich ja tot gelacht, wenn sie uns gesehen hätten, ich weiß es nicht.
Dann kamen die Schießübungen, die waren auch nicht ganz so erfolgreich, wie es der der Ausbilder gern gesehen hätte, aber das lag ganz klar am Gewehr.
Das musste man jeden Abend auseinander nehmen und auch wieder zusammensetzen; ich meine, welcher Apparat der was taugt braucht so viel Aufmerksamkeit?
Da haben die Chinesen euch aber einen ziemlichen Schrott angedreht, sagte ich zum Spieß – und ging zwei Tage in den Bau.
Danach behauptete ich, dass meine schlechten Ergebnisse bestimmt mit meinen pazifistischen Genen zu tun hatten - unbewusst wollte ich wohl nicht mal dem Pappkameraden weh tun. Der Armeepsychiater glaubte das auch.
Unser bester Schütze war der Peter, Peter Johannsen, der holte mit einem Schuss mehr Ringe, als ich mit dem ganzen Magazin.
Eines Tages sag ich zu ihm: „ Johannsen, warum schießt du eigentlich so gut?“
Das ist ganz einfach“ , sagt er, „ ich stelle mir einfach vor, das da ist mein größter Feind. Na, und dann geb ich`s ihm ordentlich.“
Was für ein Feind?“
Na, ein Russe vielleicht.“
Ich hab nichts gegen Russen.“
Dann ein Chinese, die Rote Gefahr.“
Ich hab nichts gegen Chinesen.“
Dann eben der Typ, der deine Schwester geschwängert hat.“
Ich bin Einzelkind.“
Vielleicht ist es der Schweinehund, der deine Freundin vergewaltigen wollte.“
Ich habe keine Freundin.“
Dann weiß ich nichts mehr“, sagte Peter.
Ich schoss weiterhin daneben.


Eines Tages führte man uns die Panzer vor, man zeigte uns unseren neuen Arbeitsplatz.
So, sagten sie, da steigt mal ein, dann werdet ihr eingewiesen – und dann geht es auch bald los. Und alle waren sehr aufgeregt – ich erst nicht, aber als ich durch die enge Luke sollte, dann doch.
Ich fragte, ob ich nicht vielleicht auch außen mitfahren könnte, weil es doch etwas wenig Platz für so viele Leute da drinnen war - aber nein, ich musste durch die Luke, und ich musste da rein, und da war es dunkel und laut und sehr warm und roch nach Füßen.
Ich konnte mir nicht vorstellen, wie man sich in diesem Ding für längere Zeit wohlfühlen sollte.
Man konnte auch kein Fenster aufmachen, es gab da keine Fenster.
Ein Vorschlag, den ich bei Gelegenheit dann mal meinem Vorgesetzten unterbreiten wollte: Fenster einbauen.
Dann sieht man auch viel mehr, wie soll man denn richtig schießen, wenn man nichts sehen kann? Die Jungs hatten das nicht drauf, die hatten im Detail doch echt gepfuscht.
Von der ganzen Einweisung blieb mir eigentlich nur im Gedächtnis, dass der Ausbilder auf eine große, rote Lampe zeigte und sagte: „ Diese Lampe darf nicht aufleuchten, dann wird der Motor zu heiß. Und wenn der Motor zu heiß wird, dann geht der kaputt. Und ein Gerät wie dieses hier, kostet fünf Millionen, das ist viel Geld – soviel verdient ihr in eurem ganzen Leben nicht. Also Leute, immer schön darauf achten, auf die rote Lampe.“
Ich weiß auch nicht, woran es gelegen hat, ob mein innerer Pazifist da wieder am Werk war, jedenfalls kam vierzehn Tage später das Manöver und wir durften dann auch mit unseren neuen Panzern ins Gelände.
Und ich dachte : Gut, geben wir mal ordentlich Gas, damit wir das hier auch bald mal hinter uns haben. Und tatsächlich, da leuchtete die rote Lampe auf und ich meinte wohl im Eifer des Gefechts, das sei der Hinweis darauf, dass der Motor seine Betriebstemperatur erreicht hatte und man jetzt nochmal richtig beschleunigen durfte – was ich dann auch tat.
Es war eine beachtlich schnelle Runde, die wir da drehten, und dann gab es einen ganz gewaltigen Knall und es war lauter schwarzer Rauch um uns herum.
Wir sind getroffen!“ rief ich, „wir sind getroffen. Die scheiß Russen haben uns erwischt, (oder wer immer der Feind auch gerade war).“
Ach, was für ein Ärger.
Wir zwängten uns durch die Luke nach draußen, husteten und spuckten auf den Boden. Ich schüttelte den Kopf und sagte zu meinem Ausbilder, der im Laufschritt auf uns zu gestakst kam: „ Entschuldigen Sie, das war ein Treffer. Das darf nicht vorkommen. Haben unser Bestes getan, sind extra nochmal etwas schneller in die letzte Runde gegangen, hat nichts genützt – Feind hat uns leider trotzdem erwischt. Melde gehorsamst.“
Es gab danach eine Gerichtsverhandlung und man unterstellte mir, ich hätte mit Absicht den Panzer kaputt gemacht, was natürlich in keinster Weise stimmte, aber die anderen waren da anderer Meinung.
Ich durfte also von da an keinen Panzer mehr anfassen, nicht mal mehr in die Nähe eines Panzers kommen, aber man beförderte mich trotzdem.
Ich bekam eine sehr verantwortungsvolle Position: Ich durfte Nachts das Kasernengelände bewachen.
Ich musste aufpassen, dass keine feindliche Armee uns im Schlaf überraschte, oder ein Spion sich einschlich. Ich wusste, dass dies eine sehr viel sinnvollere Aufgabe war, als Panzer fahren. Es war auch viel anspruchsvoller, denn man musste lernen im Stehen zu schlafen ohne umzufallen.
Das war eine ganz beachtliche Fertigkeit, die mir im Späteren noch bestimmt gute Dienste leisten würde.
Wir exerzierten das jede Nacht, und wurden darin schnell ziemlich gut.
Das dumme war nur, dass unser Ausbilder damit nicht einverstanden zu sein schien. Er entwickelte die Angewohnheit sich in die Büsche zu schlagen um uns zu erwischen. Dann bekamen wir Strafen auf gebrummt und Ausgehverbot.
Es schien ihm wirklich Spaß zu machen - was ich nicht verstand.
Ihr sollt hier nicht pennen, ihr sollt aufpassen und wachsam sein, sagte er, wenn ich jetzt ein feindlicher Spion gewesen wäre, was dann? Dann hätte ich sonstwas anstellen können, und ihr hättet es nicht bemerkt. Also seid wachsam - Verstanden?
Verstanden“, sagte wir und schlugen die Hacken zusammen.
Ich hatte zwar in der ganzen vergangenen Zeit noch nie einen Feind zu Gesicht bekommen, aber ich befolgte seinen Rat und war von jetzt an wachsam und passte auf. Und das war gut so.
Eines Nachts stand ich also wieder auf meinem Posten, da raschelte etwas im Gebüsch. Das war der Fall des Falles, das war der Grund meines Hierseins, darum hatte man mich hierher gestellt. Da war der Feind! da schlich sich jemand an.
Ich musste ihn sofort erschießen, auch ohne Vorwarnung – wer uns an den Kragen wollte hatte es nicht anders verdient. Ich lud das Gewehr durch und zielte auf den Busch der da raschelte. Aber dann war wieder mein innerer Pazifist zugegen und meinte: He Mann, warum denn immer gleich schießen? Kann man das nicht auch anders lösen? Feinde sind doch irgendwie auch nur Menschen die Befehle haben...usw.
Ich senkte das Gewehr und ging auf das Versteck des Feindes zu und rief: „Wer da? Hände hoch, oder ich schieße!“ und im gleichen Moment drehte ich das Gewehr um, und hieb mit dem Kolben herzhaft zu.
Es gab wieder eine Verhandlung, und wieder wurde ich bezichtigt, irgendetwas falsch gemacht zu haben.
Und ich sagte: „Ich konnte doch nicht wissen, dass der Spieß sich nachts in den Büschen herumtreibt. Ich hätte normalerweise schießen müssen, dann hätten wir jetzt einen Ausbilder weniger und eine Ausbilderwitwe mehr.“
Das sahen sie wieder mal nicht ein und meinten, sie würden mich dann doch lieber entlassen, denn sonst hätten die Chinesen demnächst niemanden mehr den sie angreifen konnten. Das war ungerecht.
Ich hatte meine Pflicht getan.
Was kann ich dafür, dass die ihre Panzer in Shanghai auf dem Fischmarkt kaufen und sich unsere Leute im Gebüsch herum treiben?
Ich war mir keiner Schuld bewusst, nein ich fühlte mich gekränkt.
Und dabei hatte ich mich schon so gut eingelebt, dass ich fest entschlossen war, Berufssoldat zu werden.