Moin Leute. Ihr wisst ja: "Es ist ganz leicht das Rauchen aufzugeben. Ich habe es schon hundert mal geschafft." (Mark Twain)

Donnerstag, 26. Mai 2011

Waffenbrüder

Waffenbrüder


Wer behauptet, ich sei ein Militarist, nur weil ich bei der Bundeswehr gewesen bin, der ist ein Lügner, denn ich habe immerhin einen sehr persönlichen Beitrag zur Abrüstung des Westens geleistet.
Wer mich dagegen als Feigling bezeichnet und sagt, dass ich meinem Vaterland nicht hätte dienen wollen, der lügt ebenfalls.
Gewollt habe ich, soviel steht fest.

Die Jungs vom Kreiswehrersatzamt hatten mir eine freundliche Einladung geschickt mit der Aufschrift „Persönlich“.
Ein sehr offizielles Dokument.
Sie hielten große Stücke von mir und, obwohl sie mich doch gar nicht richtig kannten, waren sie der Meinung, so stand es da geschrieben, ich würde ganz hervorragend zu ihrer Truppe passen und sollte doch mal vorbei schauen.
Ich fand das nett von denen, dass sie an mich gedacht hatten, aber ich war mir nicht sicher, ob ich ihre Erwartungen auch erfüllen konnte.
Ich erkundigte mich erst mal bei meinen Kumpels am Bahnhof, was denn da wohl so alles auf mich zu kommen würde.
Bruno sagte: „ Bundeswehr ist gut. Bundeswehr muss sein - und vor allem, du hast nen lauen Job da. Du läufst ein bisschen durch die Gegend, schmeißt dich ab und zu mal in den Dreck, aber dann ist auch wieder gut – dann ist Mittag.
Dann machst du ein Schläfchen, danach noch zwei, drei Kniebeugen bis zum Kaffetrinken; anschließend schießt du ein paar Löcher in einen Pappkameraden, danach gibts Abendbrot - deine Vorgesetzten klopfen dir auf die Schulter, weil du alles so gut gemacht hast und schon geht es ab ins Bettchen.“
Genau“, sagte Gerhard, „ da kann man nicht meckern, der „Bund“ das ist schon eine schöne Zeit. Also wenn ich mich so zurück erinnere,...Am Wochenende wird gesoffen, oder ein bisschen mit dem Zug gefahren nach Hause, wenn man will.
Und wenn man nicht will, bleibt man eben in der Kaserne, da ist auch ein großer Zaun drum, da braucht man keine Angst zu haben, dass man vielleicht überfallen wird oder so.“
Das klang nicht schlecht: Drei Mahlzeiten am Tag, ab und zu mal ein bisschen spazieren gehen oder Turnen, das würde ich schon schaffen – ich bin nicht für Turnen, aber egal, man konnte ja mal guten Willen zeigen.
Gibt`s da auch Weiber?“ fragte ich.
Klar“, sagte Bruno, „ jede Menge. Jeden Dienstgrad den du haben willst, und am Wochenende gehst du in die Dorfdisco. Da warten sie schon auf die schicken Kerle in Uniform.“
Da stehen die drauf“, sagte Gerd und grinste mir mit seinen fehlenden Schneidezähnen entgegen, „ die haben alle „Top Gun“ gesehen.“
Und Bier?“ sagte ich „ich meine Bier - gibt es da denn auch ordentlich was zu trinken? Ist das im Preis mit drin, oder muss man das selber mitbringen?“
Ja, also...“ sagte Bruno, „ also Bier gibt es auch,...am Wochenende in der Kneipe. In der Kaserne eigentlich nicht so regelmäßig.“
Das gefiel mir nicht - was soll man mit Mädchen, wenn man kein Bier hat; dann traut man sich doch nicht.
Ich meine, wenn ich schon für mein Vaterland Kniebeugen machen soll und auf Pappkameraden schießen und noch allerhand andere Mätzchen machen, dann können die doch eigentlich auch für Bier sorgen, oder?
Das ist doch nicht zu viel verlangt.
Mir kamen echte Zweifel, ob das denn alles so das richtige für mich sein konnte.
Ich dachte mir: Nein, vielleicht werde ich den hohen Erwartungen dieser Leute ja doch nicht gerecht – und dann? Dann ist es ihnen nachher peinlich, und dann müssen sie eingestehen, dass sie sich mit mir vertan haben.
Der Gedanke war mir unangenehm.
Nee, da wollte doch lieber meinen Platz jemandem überlassen, der weniger Wert auf Bier mit Mädchen legt als ich, und vielleicht auch bessere Liegestütze zustande kriegt und auch noch etwas genauer auf den Pappkameraden schießen kann.
Erst hatte ich gedacht, ich schicke denen eine Karte, wünsche ihnen alles Gute, und versuche zu erklären, dass ich aus persönlichen Gründen lieber doch zu Hause bleiben will.
Aber ich hatte keinen Stift im Haus, und darum ließ ich es sein.
Ich dachte mir es wäre besser, wenn das ganze einfach in Vergessenheit geraten würde.
Weil: „Tote Hunde schlafen nicht“, wie man so sagt.

Eines Tages standen sie vor meiner Tür und hielten mir einen Zettel unter die Nase.
Sie sagten, sie wären die Feldjäger , und ich soll mitkommen.
Das war so gegen halb elf am Morgen, ich meine da ist man ja noch nicht mal wach - aber sie ließen sich nicht erweichen.
Ich fragte mich natürlich, was die Feldjäger eigentlich mitten in der Stadt zu suchen haben, sollen sie doch auf dem Feld jagen, wenn sie denn unbedingt jagen wollen - aber nein, sie wollten mich mitnehmen, darum waren sie hier; und in die Stadt durften sie auch.
Die grünen Männer waren nicht wirklich unfreundlich, ich durfte mich sogar noch anziehen und rasieren und ein paar Kleinigkeiten einpacken.
Sie waren höflich, aber bestimmt - das einzige was mich störte waren die Handschellen; zumal die Nachbarn dann auch alle gleich aus den Fenstern geguckt haben.
Die haben mir hinterher gepfiffen und einer hat gerufen: „Na du versoffener Sack, jetzt ham se dich doch am Arsch gekriegt. Verteidige mal schön unsern Plattenbau, und zeig mal was du drauf hast.“
Ich fand das nicht nett, muss ich ehrlich sagen – zumal ich nicht mehr trinke als jeder andere.
Die Herren, die mich abführten, ließen sich davon nicht weiter beirren und brachten mich in ihrem Lieferwagen zum Stabsarzt.
Der sollte mich auf Herz und Nieren prüfen.
Da hab ich ihm dann gesagt, also das Herz ist gut, die Nieren wüsste ich nicht, das könnte schon sein, die hätten ja auch immer ordentlich zu tun...
Na, dann sollte ich mal eine Urinprobe abgeben, und er gab mir einen kleinen Messbecher und ich dachte – gut, tu ich ihm den Gefallen. Ich meine, man will ja auch niemanden verärgern.
Ich gab mir richtig Mühe, und es war dann nur etwas problematisch das volle Gläschen ohne zu verschütten auf seinem Schreibtisch abzustellen - ging aber.
Der Doktor hatte da schon mehr Schwierigkeiten, das Glas ohne zu kleckern wieder weg zu nehmen, aber da konnte ich ja nichts dafür.
Wenn der am Morgen nicht zittern will, dann soll er am Abend eben nicht so viel saufen, dachte ich.
Er klopfte so an mir herum und prüfte die Reflexe, er guckte mir in den Hals und auch wo anders – das ging mir etwas zu schnell, ich meine, wir waren uns ja kaum vorgestellt worden.
Er stellte fest, dass ich Plattfüße habe und nahm mir Blut ab, was ich übertrieben fand.
Ein bisschen zu fett“, sagte er dann. „ aber das kriegen wir schon.“
Das war eine Bemerkung, die er sich hätte schenken können.
Dann saß ich auf dem Flur in Unterwäsche und Socken und wartete auf das Ergebnis der Untersuchung.
An einem Schreibtisch gegenüber saß eine süße Maus mit einem weißen Kittel.
Die grinst mich an und sagt: „ Na, wo willst denn du mal hin?“
Hin?“ sag ich, „ wo soll ich hin wollen, ich will bald wieder nach Hause. Ich muss mal ein Schläfchen machen, die haben mich mitten in der Nacht aus dem Bett geholt.“
Nein“, sagt sie , „ich meine zu welcher Einheit du willst, zu welcher Waffengattung.“
Darüber hatte ich mir noch nie Gedanken gemacht.
Ich sag: „Ja, was ist denn da so zu empfehlen?“
Marine“, sagt sie, „die Marine hat die schönsten Uniformen. Die sehen wirklich schmuck aus, die Bengels.“ Sie ließ eine Kaugummiblase zerplatzen.
Nein“, sag ich, „ Marine, die haben doch mit Schiffen zu tun, oder?“
Ja“, sagt sie, „ Marine hat mit Schiffen zu tun..“
Nee“, sag ich, „ das is nix für mich, da wird mir schlecht. Das Geschaukel vertrage ich nicht.“
Na, dann vielleicht U-Boot“, sagt sie, „die schaukeln nicht. Und vor allem jetzt, wo es doch die Neuen mit Atom - Antrieb gibt.“
Ich sag: „ U-Boot? - das ist doch unter Wasser.“
Ja“, sagt sie, „ U-Boot hat damit zu tun. Das ist auch unter Wasser.“
Nein, nein“, sag ich, „ unter Wasser, da...da kriege ich ja Budenangst. das geht ganz bestimmt nicht. Ich kann ja auch gar nicht schwimmen.“
Und dann zählte sie mir alle Möglichkeiten auf, die man als aufstrebender Waffenträger so haben kann, und jede Ausbildung, und wie spannend das doch alles ist. Aber wir kamen nicht so recht überein, denn es gab an allem etwas, das mir nicht so richtig liegen wollte. Am Ende blieben nur noch die Panzer.
Panzerfahrer, sagte sie, das würde es doch sein.
Panzer! damit durch`s Gelände heizen, das war doch abenteuerlich und das konnte sie sich gut für mich vorstellen; so mit dem „Leopard“, oder mit dem „Ozelot“ , oder dem „Tiger“ die Heide verwüsten, das war doch besser als Paris – Dakkar.
Was immer das auch heißen mochte.
Sie lächelte mich so bezaubernd an, dass ich sagte: „ Ja, das könnten wir versuchen.
Doch, doch...das könnte vielleicht was sein.“
Und so unterschrieb ich auf dem Zettel, und kreuzte an: Panzerfahrer.
Ich hatte schon immer ein besonderes Faible für Kettenfahrzeuge gehabt, und „Panzer - Fahrer“ war ja auch etwas, das mit „fahren“ zu tun hatte, und fahren fand ich immer noch besser als „laufen“ oder „schwimmen“.
Allerdings hoffte ich im Stillen immer noch auf ein medizinisches Ergebnis, dass mich für untauglich erklärte – große Maschinen hin oder her.
Aber zu meiner Überraschung war ich tauglich.
Gut, dachte ich, du bist gesund, das ist schon mal nicht schlecht – dann brachten sie mich in die Kaserne.
Da war es eigentlich... auch nicht so schön,wie ich gedacht hatte; ich musste mit noch fünf anderen auf einem Zimmer schlafen und das war ich nicht gewöhnt.
Es gab da gar keine Frauen, wie Bruno gesagt hatte, es gab roten Tee, und vor allem standen diese Leute immer in aller Herrgotts-Frühe auf.
Das ging ja gar nicht.
Ich stellte fest: Mein Kumpel hatten mich belogen.
Es war viel mehr Laufen, als er gesagt hatte. Viel mehr Liegestütze, als er gesagt hatte, und das Essen war auch für die Hose.
Nicht besser als meine Ravioli zu Hause, und nicht mal richtig warm.
Es dauerte vier Tage - doch, so lange gab ich ihnen.
Ich brachte ein paar konstruktive Verbesserungsvorschläge ein, aber es änderte sich nichts, und so ging ich am fünften Tag zu meinem Vorgesetzten und sagte: „ Hallo, Herr Major...“
Können Sie nicht anständig grüßen?“ sagte der.
Ich sagte: „Moin“, das gefiel ihm aber auch nicht.
Dann versuchte ich es ihm klar zu machen, und sagte: „ Es ist hier leider doch nicht wirklich so schön, wie ich es mir vorgestellt habe, seien sie da nicht beleidigt; aber ich möchte dann doch lieber den Dienst quittieren – die Probezeit ist ja auch noch nicht vorbei...“
Da schnauzt der mich an: „Stellen sie sich mal gerade hin. Was faseln Sie da für einen Unsinn? Sind Sie denn besoffen, Mann?“
Ich sag: „ Nein, das ist ja gerade das Problem.“
Gehen Sie sofort auf ihre Stube, sagt er, gleich ist Appell und wenn Sie da nicht pünktlich auftauchen Soldat, dann werde ich mit ihrem Arsch den Boden wischen...und was er nicht noch alles erzählte.
Also, er hörte mir gar nicht wirklich zu - er verstand einfach mein Problem nicht.
Das betrübte mich dann doch.
Und so vergingen die Tage, und wir machten Leibesübungen, krochen durch den Dreck, kletterten über Zäune und machten uns die Hosen kaputt - als ob so was irgendeinen Feind beeindrucken konnte. Vielleicht hätten die sich ja tot gelacht, wenn sie uns gesehen hätten, ich weiß es nicht.
Dann kamen die Schießübungen, die waren auch nicht ganz so erfolgreich, wie es der der Ausbilder gern gesehen hätte, aber das lag ganz klar am Gewehr.
Das musste man jeden Abend auseinander nehmen und auch wieder zusammensetzen; ich meine, welcher Apparat der was taugt braucht so viel Aufmerksamkeit?
Da haben die Chinesen euch aber einen ziemlichen Schrott angedreht, sagte ich zum Spieß – und ging zwei Tage in den Bau.
Danach behauptete ich, dass meine schlechten Ergebnisse bestimmt mit meinen pazifistischen Genen zu tun hatten - unbewusst wollte ich wohl nicht mal dem Pappkameraden weh tun. Der Armeepsychiater glaubte das auch.
Unser bester Schütze war der Peter, Peter Johannsen, der holte mit einem Schuss mehr Ringe, als ich mit dem ganzen Magazin.
Eines Tages sag ich zu ihm: „ Johannsen, warum schießt du eigentlich so gut?“
Das ist ganz einfach“ , sagt er, „ ich stelle mir einfach vor, das da ist mein größter Feind. Na, und dann geb ich`s ihm ordentlich.“
Was für ein Feind?“
Na, ein Russe vielleicht.“
Ich hab nichts gegen Russen.“
Dann ein Chinese, die Rote Gefahr.“
Ich hab nichts gegen Chinesen.“
Dann eben der Typ, der deine Schwester geschwängert hat.“
Ich bin Einzelkind.“
Vielleicht ist es der Schweinehund, der deine Freundin vergewaltigen wollte.“
Ich habe keine Freundin.“
Dann weiß ich nichts mehr“, sagte Peter.
Ich schoss weiterhin daneben.


Eines Tages führte man uns die Panzer vor, man zeigte uns unseren neuen Arbeitsplatz.
So, sagten sie, da steigt mal ein, dann werdet ihr eingewiesen – und dann geht es auch bald los. Und alle waren sehr aufgeregt – ich erst nicht, aber als ich durch die enge Luke sollte, dann doch.
Ich fragte, ob ich nicht vielleicht auch außen mitfahren könnte, weil es doch etwas wenig Platz für so viele Leute da drinnen war - aber nein, ich musste durch die Luke, und ich musste da rein, und da war es dunkel und laut und sehr warm und roch nach Füßen.
Ich konnte mir nicht vorstellen, wie man sich in diesem Ding für längere Zeit wohlfühlen sollte.
Man konnte auch kein Fenster aufmachen, es gab da keine Fenster.
Ein Vorschlag, den ich bei Gelegenheit dann mal meinem Vorgesetzten unterbreiten wollte: Fenster einbauen.
Dann sieht man auch viel mehr, wie soll man denn richtig schießen, wenn man nichts sehen kann? Die Jungs hatten das nicht drauf, die hatten im Detail doch echt gepfuscht.
Von der ganzen Einweisung blieb mir eigentlich nur im Gedächtnis, dass der Ausbilder auf eine große, rote Lampe zeigte und sagte: „ Diese Lampe darf nicht aufleuchten, dann wird der Motor zu heiß. Und wenn der Motor zu heiß wird, dann geht der kaputt. Und ein Gerät wie dieses hier, kostet fünf Millionen, das ist viel Geld – soviel verdient ihr in eurem ganzen Leben nicht. Also Leute, immer schön darauf achten, auf die rote Lampe.“
Ich weiß auch nicht, woran es gelegen hat, ob mein innerer Pazifist da wieder am Werk war, jedenfalls kam vierzehn Tage später das Manöver und wir durften dann auch mit unseren neuen Panzern ins Gelände.
Und ich dachte : Gut, geben wir mal ordentlich Gas, damit wir das hier auch bald mal hinter uns haben. Und tatsächlich, da leuchtete die rote Lampe auf und ich meinte wohl im Eifer des Gefechts, das sei der Hinweis darauf, dass der Motor seine Betriebstemperatur erreicht hatte und man jetzt nochmal richtig beschleunigen durfte – was ich dann auch tat.
Es war eine beachtlich schnelle Runde, die wir da drehten, und dann gab es einen ganz gewaltigen Knall und es war lauter schwarzer Rauch um uns herum.
Wir sind getroffen!“ rief ich, „wir sind getroffen. Die scheiß Russen haben uns erwischt, (oder wer immer der Feind auch gerade war).“
Ach, was für ein Ärger.
Wir zwängten uns durch die Luke nach draußen, husteten und spuckten auf den Boden. Ich schüttelte den Kopf und sagte zu meinem Ausbilder, der im Laufschritt auf uns zu gestakst kam: „ Entschuldigen Sie, das war ein Treffer. Das darf nicht vorkommen. Haben unser Bestes getan, sind extra nochmal etwas schneller in die letzte Runde gegangen, hat nichts genützt – Feind hat uns leider trotzdem erwischt. Melde gehorsamst.“
Es gab danach eine Gerichtsverhandlung und man unterstellte mir, ich hätte mit Absicht den Panzer kaputt gemacht, was natürlich in keinster Weise stimmte, aber die anderen waren da anderer Meinung.
Ich durfte also von da an keinen Panzer mehr anfassen, nicht mal mehr in die Nähe eines Panzers kommen, aber man beförderte mich trotzdem.
Ich bekam eine sehr verantwortungsvolle Position: Ich durfte Nachts das Kasernengelände bewachen.
Ich musste aufpassen, dass keine feindliche Armee uns im Schlaf überraschte, oder ein Spion sich einschlich. Ich wusste, dass dies eine sehr viel sinnvollere Aufgabe war, als Panzer fahren. Es war auch viel anspruchsvoller, denn man musste lernen im Stehen zu schlafen ohne umzufallen.
Das war eine ganz beachtliche Fertigkeit, die mir im Späteren noch bestimmt gute Dienste leisten würde.
Wir exerzierten das jede Nacht, und wurden darin schnell ziemlich gut.
Das dumme war nur, dass unser Ausbilder damit nicht einverstanden zu sein schien. Er entwickelte die Angewohnheit sich in die Büsche zu schlagen um uns zu erwischen. Dann bekamen wir Strafen auf gebrummt und Ausgehverbot.
Es schien ihm wirklich Spaß zu machen - was ich nicht verstand.
Ihr sollt hier nicht pennen, ihr sollt aufpassen und wachsam sein, sagte er, wenn ich jetzt ein feindlicher Spion gewesen wäre, was dann? Dann hätte ich sonstwas anstellen können, und ihr hättet es nicht bemerkt. Also seid wachsam - Verstanden?
Verstanden“, sagte wir und schlugen die Hacken zusammen.
Ich hatte zwar in der ganzen vergangenen Zeit noch nie einen Feind zu Gesicht bekommen, aber ich befolgte seinen Rat und war von jetzt an wachsam und passte auf. Und das war gut so.
Eines Nachts stand ich also wieder auf meinem Posten, da raschelte etwas im Gebüsch. Das war der Fall des Falles, das war der Grund meines Hierseins, darum hatte man mich hierher gestellt. Da war der Feind! da schlich sich jemand an.
Ich musste ihn sofort erschießen, auch ohne Vorwarnung – wer uns an den Kragen wollte hatte es nicht anders verdient. Ich lud das Gewehr durch und zielte auf den Busch der da raschelte. Aber dann war wieder mein innerer Pazifist zugegen und meinte: He Mann, warum denn immer gleich schießen? Kann man das nicht auch anders lösen? Feinde sind doch irgendwie auch nur Menschen die Befehle haben...usw.
Ich senkte das Gewehr und ging auf das Versteck des Feindes zu und rief: „Wer da? Hände hoch, oder ich schieße!“ und im gleichen Moment drehte ich das Gewehr um, und hieb mit dem Kolben herzhaft zu.
Es gab wieder eine Verhandlung, und wieder wurde ich bezichtigt, irgendetwas falsch gemacht zu haben.
Und ich sagte: „Ich konnte doch nicht wissen, dass der Spieß sich nachts in den Büschen herumtreibt. Ich hätte normalerweise schießen müssen, dann hätten wir jetzt einen Ausbilder weniger und eine Ausbilderwitwe mehr.“
Das sahen sie wieder mal nicht ein und meinten, sie würden mich dann doch lieber entlassen, denn sonst hätten die Chinesen demnächst niemanden mehr den sie angreifen konnten. Das war ungerecht.
Ich hatte meine Pflicht getan.
Was kann ich dafür, dass die ihre Panzer in Shanghai auf dem Fischmarkt kaufen und sich unsere Leute im Gebüsch herum treiben?
Ich war mir keiner Schuld bewusst, nein ich fühlte mich gekränkt.
Und dabei hatte ich mich schon so gut eingelebt, dass ich fest entschlossen war, Berufssoldat zu werden.






Mittwoch, 11. Mai 2011

Zwei Spatzen

Zwei Spatzen

Seit einigen Tagen hatten sich die Geräusche in unserem Garten verändert.
Zu dem gewohnten Zwitschern und Singen der Amseln war ein lautes Tschilpen und Schimpfen hinzu gekommen, wie ich es schon seit langer Zeit nicht mehr gehört hatte. Es waren Spatzen.
Ein dicker, der wie aufgeplustert wirkte und ein schmaler mit glänzenden Augen und brauner Stirn.
Sie saßen in den Ästen von unserem Haselstrauch und unterhielten die Umgebung. Das heißt, der Dicke tat das.
Er schimpfte und jubelte ohne Unterbrechung in allen Tonlagen, die einem Vogel wie ihm zur Verfügung stehen, während der andere nur ganz ab und zu einen kurzen Einwurf wagte.
Es war schwer zu sagen, welcher von beiden wohl das Männchen und wer das Weibchen war, auch wenn es Leute gibt, die die Gesprächigkeit immer eher den Frauen zuschreiben.
Ich bin mir da nicht so sicher, zumal dann, wenn ich an jemanden wie unseren „Onkel Schweigsam“ denke. Onkel Schweigsam heißt eigentlich
Erich und ist auch nicht wirklich ein echter Onkel von uns.
Er hat irgendwann, in einem unbeobachteten Augenblick, eine Cousine meiner Mutter geheiratet. Eine Unachtsamkeit, die wir uns in der Familie nie wirklich vergeben konnten.
Dabei ist der Onkel kein schlechter Kerl, er raucht nicht, er trinkt nicht und ist freundlich zu jedermann. Das einzige Laster, das er ausgiebig pflegt, ist eine unglaublich nervtötende Gesprächigkeit, der kein Thema fremd und keine Formulierung zu umständlich ist.
Ein Mensch, der selbst aus einem einfachen „hallo“ einen abendfüllenden Vortrag über die Amerikanisierung der Deutschen Sprache im Allgemeinen, und deren Auswirkungen auf den Verdauungsapparat vereinsamter Angorakaninchen im Besonderen hat. Kein schlechter Kerl, wie schon gesagt, aber die Pest, wenn man ihm nicht rechtzeitig aus dem Wege geht.
Böse Stimmen, wie die meines Bruders Benjamin behaupten, dass die CIA Onkel Schweigsam als besonders gemeine Foltermethode gegen verschwiegene Terroristen einsetzen wollte, aus humanitären Gründen dann jedoch darauf verzichtet hat.
Ich glaube, dass Benjamin sich das nur ausgedacht hat, aber wer je auf einer Familienfeier in Onkel Schweigsams Fänge geriet, könnte durchaus anderer Meinung sein.
Solch ein Kaliber war auch der dicke Spatz in unserem Haselstrauch, und darum nannte ich ihn „Quatscher“, den anderen nannte ich „Ping“.
Quatscher und Ping lebten sich schnell ein in unserem Garten, und wenn ich morgens um sieben auf die Terrasse ging um meinen Kaffee zu trinken, dann hatten sie schon längst lautstark das Für und Wider, das Auf und Ab und das Hin und Her, aller mehr oder weniger bedeutsamen Angelegenheiten der Weltgeschichte am Wickel.
Einmal streute ich ihnen Brotkrumen hin, weil ich dachte, so für etwas Ruhe sorgen zu können, aber weit gefehlt.
Genau wie Onkel Schweigsam am kalten Buffet, so konnte auch der dicke Spatz essen und trinken, ohne dass es seinen Redefluss im geringsten gestört hätte.
Ich mochte die beiden trotzdem.
Ich mag Spatzen, und hatte noch vor Kurzem festgestellt, dass man sie viel seltener sieht als früher.
Mich erinnern Spatzen irgendwie an Berliner Hinterhöfe im Frühling, wenn die ersten Sonnenstrahlen die dunklen Schluchten der Häuserwände erhellen und die Fensterscheiben zum Blitzen bringen und
man durch die hohen Fenster sieht und sich fragt, wie sie wohl heißen mag, die, neben der man gerade aufgewacht ist.
Es ist nicht gut, sich an diese Dinge zu erinnern, es ist zu merkwürdig, zu melancholisch und auch viel zu lange her. Aber es gibt Geräusche und Gerüche, die zaubern alles wieder zurück, ob man will oder nicht, und tschilpende Spatzen gehören dazu, genau wie die muffigen Wellen, die in Hamburg an die Kaje schlagen wenn Fischmarkt ist und man nicht geschlafen hat und ein Fischbrötchen mit Frühstücksbier verzehrt.
Nicht alles war schlecht, denke ich, das meiste schon.
Den Spatzen ging es gut bei uns, und nur die Katze von Schröders, die sich nachts immer auf meinem Campingstuhl niederlässt, machte mir Sorgen. Es war ihr Revier, mein Garten, wie sie zu denken schien, und ich besorgte eine Wasserpistole.
Ein prächtiges Exemplar mit ordentlich Druck und zwanzig Metern Reichweite.
Ich mag keine Katzen - jedenfalls nicht mehr seit Willi.
Aber Willi war ja auch keine normale Katze.
Willi war ein stämmiger, roter Kater mit einem Schmiss über der Nase und an seinem linken Ohr fehlte ein Stück. „Alte Kriegsverletzung“, wie er bestimmt gesagt hätte.
Den wollen Sie? Sind Sie sicher?“ hatte damals die Dame vom Tierheim gesagt. 
Willi verbrachte seine Tage auf einer Art Regal im Katzenraum. 
Er lag da ganz entspannt, bis eine von den anderen unter ihm hindurchging, dann holte er aus, verpasste ihr eine und ließ die ausgerissenen Haare durch seine Krallen rieseln. Er hatte große Pfoten, und seine Krallen waren durchaus sehenswert.
In unserem Haus gab es damals noch zwei andere Katzen, die moppelige Kitty, die immer einen etwas leidenden Eindruck machte und Luzi aus dem dritten Stock, der man besser nicht zu nahe kam. Ich war gespannt, wie sich mein roter „Kampfkater“ wohl mit ihnen verstehen würde.
Die Fronten waren schnell geklärt.
Die seufzende Kitty wurde seine Freundin, die er sogar zum Essen zu uns einlud, und mit Luzi lieferte er sich jeden Nachmittag zur Kaffeezeit eine lautstarke Prügelei.
Der Kater und ich verstanden uns prächtig, bis auf eine Sache vielleicht.
Willi mochte keinen Besuch, und fremde „Weiber“ schon mal gar nicht. Das störte mein Liebesleben empfindlich, denn wann immer ich spät abends mit einem „Übernachtungsgast“ bei uns auftauchte, der sich zum Bleiben anschickte, schiss mir der Kater vors Bett. Das veranlasste mich dann, ihn übel zu beschimpfen, am Kragen zu packen und aus dem Fenster zu werfen (wir wohnten im Parterre). Damit war die Romantik im Eimer, und wenn ich den Boden fertig gescheuert hatte, war die Dame still und heimlich verschwunden.
Der Abend war hinüber, ich schon fast wieder nüchtern und der Kater grinste durchs Küchenfenster, so war das.
Ich ließ ihn irgendwann wieder rein, und wir versöhnten uns mit Brekkies und Bier, und kamen überein, dass wir unseren Streit eigentlich nur diesem weiblichen Eindringling zu verdanken hatten. Eines Tages verschwand Willi, und ich rief noch wochenlang nach ihm wenn ich abends nach Hause kam.
Seitdem mag ich keine Katzen mehr.
Heute Morgen ging ich mit ein paar Brotkrümeln zum Haselstrauch.
Nur Quatscher hockte da auf seinem Zweig und hielt seine Volksreden, wie er es immer tat. Auf dem Boden fand ich ein paar graue Federn und ein Ding, das wohl eine Vogelgalle war. Die hatte die Katze übriggelassen.
Der dicke Quatscher pickte meine Frühstückskrümel auf und erzählte in einem fort. Dann flatterte er zurück auf seinen Ast, plusterte sich auf und begann ein neues Thema – einfach so.
Manche Leute merken wirklich nichts.




Mittwoch, 4. Mai 2011

Mittags am Golf von Mexico

Eine Sommergeschichte


iiiiiiiihhh!! Mama, ein Hai!“ der Schrei des Mädchens hätte eine Fensterscheibe zum bersten bringen können, wenn es hier am Strand von Anna Maria Island ein Haus mit Fensterscheiben gegeben hätte.
Natürlich ein „Hai“, dachte Heidi Heringshai als sie vorüber schwamm - was denn sonst?
Mama Hilfe! Mama, Mama...“ das Mädchen versuchte aus dem Wasser zu flüchten, aber obwohl sie einen gewaltigen Wirbel machte, kam sie kaum vorwärts.
...Mama, er will mich fressen.“
So ein Quatsch, dachte Heidi. Hast du mal auf die Größe meiner Rückenflosse geachtet? Ich bin gerade mal eins-fünfundzwanzig lang und wiege kaum dreißig Pfund.
Er kommt, Mama er kommt. Er frisst mich Mama, er frisst mich auf!“

Wie sollte ich dich wohl auffressen, mit diesen Zähnen? Ich müsste dich lutschen, du blöde Göre. Hör schon auf zu schreien, ich bin nicht der Große Weiße aus dem Kino...
Zwei dicke , bleiche Baumstämme tauchten mit Wucht rechts und links von Heidi ins Wasser.
...und ich fresse keine...AUA! Etwas hatte Heidi mit Wucht am Rücken getroffen und ihre Schwanzflosse wurde gefühllos. Es musste ein Riese sein, der da seine Keule schwang.
Du Satansbraten! Du willst mein Töchterchen erschrecken?“
Patsch!
Du blöder Haifisch , Du!“
Watsch!
Dich werd ich Mores lehren, du mistige Makrele.“
Pusch!
Wie Wasserbomben donnerten die Einschläge um Heidi herum.
So was machst du nicht mit Edwina Thompson. Und schon gar nicht mit ihrer süßen Petronella.“
Batsch!
Heidi hatte sich bis zu diesem Moment immer für ein besonders flinkes Exemplar ihrer Gattung gehalten, aber sie vermochte es nicht den Schlägen auszuweichen.
Nur ihre empfindliche Nase schützte sie, indem sie den Kopf genau zwischen den Baumstämmen hielt, hierhin fuhr die Keule des Riesen nicht.
Das Wasser um sie herum kochte, brodelte und ihr Angreifer wirbelte so viel Sand auf, dass man die Flosse vor Augen nicht mehr sah.
Auch Edwina konnte nichts mehr erkennen, aber sie wusste, der Fisch war noch da.
Da, genau zwischen ihren Füßen. Sie war außer Atem, aber noch lange nicht am Ende. Konzentriert wie ein Kendo Kämpfer nahm sie den Sonnenschirm und drehte ihn, bis seine Spitze senkrecht nach unten zeigte.
Heidi verhielt sich ganz still, ihr war schwindelig. Die weißen Bäume rechts und links von ihr waren nur verschwommene helle Schatten. Sie sah genauer hin. Da waren blaue und lila Wülste zu erkennen, sie sahen fast aus wie Adern. Adern?
Das sind keine Bäume, dachte Heidi, das sind Beine!
Ich habe drei Mistkerle von Männern unter die Erde gebracht, und die waren schlimmer als du“, flüsterte Edwina, „und heute Abend“, sie erhob den Schirm zum tödlichen Stoß, “ heute Abend gibt es gegrillten Hai mit KartoffelsalAAAHHH!“
Heidi hatte ihre Zähne in den linken „Baum“ geschlagen.
Au Verdammt, er hat mich gebissen!“
Heidis Zähne steckten in einer wunderbar weichen, weißen Masse. Keine Knochen, keine Knorpel, keine Sehnen, kein Widerstand – es war ekelhaft.
Edwina riss die Arme in die Höhe, und der Sonnenschirm landete einige Meter weiter in der türkisblauen See. Die Wut über ihre viel zu kleinen Zähne ließen Heidi ihre eigentlich friedliche Gesinnung vergessen – sie setzte nach.
Ah, du elende Mißgeburt“, fluchte Edwina,“ Petronella hilf mir! Hol den Schirm – schnell.“
Das Mädchen stand am Ufer und rührte sich nicht.
Petronella, hol den verdammten Schirm. Hörst du !“
Mrs. Thompson hob ihr massiges Bein mitsamt dem Hai aus dem Wasser. Sie wollte das Untier abschütteln, aber Heidi hatte sich an ihr fest gebissen, wie ein Terrier an einem Postboten.
Edwina griff nach Heidis Schwanz.
Petronella, du unnützes Balg. Ich prügel dich windelweich, wenn du nich sofort herkommst und mir hilfst.“
Das Mädchen bewegte sich nicht.
Heidi hatte eine dicke hellblaue Vene ins Visier genommen. Sie löste ihren Kiefer für einen Moment und schnappte dann mit aller Kraft erneut zu. Ihr Mund füllte sich mit süßem Menschenblut - das war doch schon sehr viel besser.
Mrs. Thompson verlor den Halt und stürzte, wie in Zeitlupe, rückwärts. Ihr mächtiger Hintern teilte die Fluten des Golfes, der sich das allerdings nicht lange gefallen ließ und wieder über ihr zusammen schlug. Edwina schluckte Wasser und verlor ihre Badekappe, aber Heidis Schwanz ließ sie nicht los.
Heidi wand und drehte sich während sich ihre Zähne immer tiefer in den Unterschenkel gruben.
Edwina änderte ihre Strategie. Sie umklammerte den Fischschwanz jetzt nur noch mit der linken Hand, mit der Rechten hämmerte sie auf Heidis Schädel ein.
Heidi hielt fest, und die Wunde an Edwinas Bein wurde größer.
Rote Wolken waberten durchs Wasser. Mrs. Thompson sah das Blut und wurde panisch.
Petronella! Petronella beweg dich endlich und hilf mir“, rief sie.
Das Mädchen ließ die Schultern sinken und blickte zu Boden.
Ein Mann mit gestreifter Badekappe, krummen Beinen und Nickelbrille war herzu gekommen und stand nur wenige Meter von Petronella entfernt.
Er hatte die Hände hinter dem Rücken verschränkt, den Oberkörper nach vorn gebeugt und blinzelte kurzsichtig in Richtung des Getümmels.
Er wirkte in seiner altmodischen Badehose nicht wie ein Life Guard aus dem Fernsehen, aber Mrs. Thompson hatte keine Wahl.
He Sie, Sir. Dann helfen sie mir doch bitte mit diesem Mistvieh.“
Sie donnerte eine Rechte aus Heidis Kopf.
Der Mann deutete auf seine kaum behaarte Brust. „Wer, Ich?“
Natürlich Sie, wer denn sonst? Meine verblödete Tochter rührt sich nicht, und die Jungs von Baywatch sind im Urlaub. Also los Mann, helfen sie mir raus.“
Der Mann scharrte mit den Füßen im Sand und schüttelte den Kopf.
Ich kann nicht Ma`am, da is ein Hai.“
Ach, was sie nicht sagen. Da wäre ich alleine ja nie drauf gekommen. Was glauben sie, wer mich hier gerade in die Wade beißt.“
Der Mann sah auf seine Füße und schüttelte noch einmal den Kopf.
Den meine ich nicht“, sagte er.

Heidi, Heidi“; sagte Torres Tigerhai und seufzte, „das hätte ich nicht von dir gedacht. Sieh dir bloß mal an, was für eine Schweinerei du hier veranstaltet hast.“
Heidis Kopf dröhnte von den Fausthieben, die sie hatte einstecken müssen.
Halt`s Maul, Torres“, sagte sie.
Torres sog etwas Wasser durch seine Zahnlücken um die Speisereste zu entfernen.
Nee nee, alles voll mit ihrem fettigen Blut, und überall schwimmen noch Reste von der Dame herum. Gönn dir was, Mädchen. Einen halben Unterarm habe ich dir noch übrig gelassen.“
Torres, halt`s Maul.“
Ihr hässlicher Schädel dümpelt da auch noch irgendwo rum, aber den können sich von mir aus die Aale teilen“, Torres rülpste, „ Mann, is mir schlecht.“
Einer von Edwinas dicken Fingern trieb langsam an Heidi vorbei. Sie schnappte danach - er schmeckte nach Sonnencreme.
Guck mal Heidi, der Alte mit den krummen Beinen. Der ist ganz grün im Gesicht, ich wette zwei zu eins, der macht gleich ein zähflüssiges Bäuerchen. ...Siehste, ich hatte recht.“ Torres grinste, „ Bloß gut, dass die Kleine uns nicht in die Quere gekommen ist. Nur Haut und spitze Knochen, da kann man sich übel dran verschlucken, sag ich dir. Ein Vetter von meiner Mutter...“
Sieh mal Torres“, sagte Heidi.

Petronella, die Tochter der kürzlich verschiedenen Mrs. Thompson, stakste schlafwandlerisch auf das Wasser zu. Bis zu den Knien watete sie in die rötliche Brühe hinein. Sie fischte etwas heraus, das die Größe eines eines Handballes hatte und von ähnlich bleicher Farbe war.
Die beiden Haie schwammen näher heran, sie waren neugierig.
Oh hallo Mrs. Thompson“, sagte das Mädchen, „ sie sehen heute aber gar nicht gut aus. Was ist ihnen denn bloß widerfahren - sind sie schwimmen gewesen und eine Schiffsschraube hat sie erwischt? Nein?“ Das Mädchen schmunzelte. „Ach so, ein Hai hat sie ins Bein gezwickt. Ein kleiner böser Babyhai“, sie schürzte die Lippen als ob sie zu einem Kleinkind spräche, „Oh, dieses böse, böse Tier. Und Ihre Tochter? Diese nichtsnützige, stumpfsinnige, unbegabte und vor Blödheit stinkende Petronella hat ihnen nicht geholfen? Nein? Sie hat einfach nur da gestanden und keinen Finger gerührt?“ Petronella schüttelte den Kopf, „ Nein, das ist wirklich keine Art mit der eigenen Mutter umzugehen. Aber Mrs. Thompson, eigentlich sind sie selbst daran schuld. Wer seine Kinder nicht richtig erzieht, wer zu freundlich und zu milde ist, der darf sich nicht wundern. Das haben sie jetzt von ihrem guten Herzen.“ Das Mädchen seufzte, „ Ach Mrs. Thompson, sie hätten sie öfter schlagen müssen. Mit der Zeitung oder dem Pantoffel auf den Rücken, damit man es nicht sieht. Sie hätten auch viel früher damit anfangen müssen – nicht erst mit drei Jahren.
Und der Kleiderschrank? Viel zu harmlos. Der dunkle Keller hätte es sein müssen, mit dem Hinweis darauf, nicht auf die Spinnen zu treten.“ Petronella zuckte mit den Schultern. „Sie waren zu unentschlossen Mrs. Thompson, ja, ja. In der Kindheit und später in der Jugend erst recht. Sie hätten Petronellas Willen, ihren Stolz und ihr freches Selbstbewusstsein viel früher brechen müssen – nicht erst mit zehn. Sie einfach nur anzuschreien war nicht genug.“ Das Mädchen ließ die Arme sinken und ihr Blick schweifte in die Ferne. Der Schädel tauchte bis zur Hälfte ins Wasser, aber sie hielt ihn an den Haaren fest, damit er nicht fort schwamm.
Heidi verfolgte Petronellas Monolog mit gebannter Spannung, Torres dagegen verdrehte nur gelangweilt die Augen und beschäftigte sich lieber mit seinem Sodbrennen.
Spielerisch zog das Mädchen den Kopf ihrer Mutter aus dem Wasser und ließ ihn dann wieder fast versinken.
Nein, Mrs. Thompson“, sagte sie, „Sie haben ihre Möglichkeiten an diesem Kind vertan. Und später, in Petronellas Pubertät? Da wäre die Gelegenheit gewesen das Steuer noch einmal herum zu reißen. Sie hätten ihre Tochter viel öfter lächerlich machen müssen, vor allem in Gegenwart Fremder. Aufhänger gab es doch genug. Warum haben sie so selten eine Bemerkung über Petronellas „Silberblick“ gemacht, ihre starke Körperbehaarung bemerkt, oder davon gesprochen wie angenehm ihre Tochter vor der der Pubertät gerochen hat? Sicher, sie haben oft für Erheiterung der Gesellschaft gesorgt, wenn sie den „Stacheldraht“ in Petronellas Mund erwähnten, aber war das genug? Nein, Mrs. Thompson, das war es nicht.“
Petronella zog den Kopf ihrer Mutter sanft, ja fast zärtlich an den Haaren durch die Wellen. Das Wasser wurde klarer, das Blut schien ausgewaschen zu sein.
Mit einem Ruck zerrte sie an den Haaren und Edwinas Gesicht tauchte auf.
Sie haben ihre Chance vertan“ sagte Petronella, „das Schicksal hat ihnen so viele Möglichkeiten gegeben, aber selbst als dieses unnütze Kind nur noch stammelnd und mit heißen Händen durch die Welt ging, haben sie nicht zugeschlagen, den Sack nicht zu gemacht.“ Petronella schnellte unvermittelt hoch und riss Edwinas Kopf an den Haaren aus dem Wasser. Sie schleuderte das bleiche Ding wie ein Hammerwerfer herum und brüllte: „Du hast versagt Mrs. Thompson! Du hast versagt Edwina! Du hast versagt Mutter!“
Bei der letzten Silbe ließ sie los und Edwinas bleicher Schädel flog weit in die Dünung hinaus.
Torres stieß einen anerkennenden Pfiff aus: „ Nicht schlecht Mädchen. Langweiliges Gequatsche, aber ein guter Wurf.“
Petronella sah zu ihm hinüber.
Bist du das gewesen, hast du meine geliebte Mutter gefressen ?“
Äh, ja...ich meine“, sagte Torres, „ ...ich würde das nicht „gefressen“ nennen, ich habe sie ...nur einmal probiert.Genau, eigentlich nur probiert, habe ich sie.“
Das Mädchen stemmte die Hände in die Hüfte, dann legte sie den den Kopf zur Seite und betrachtete den Tigerhai.
Selber schuld“, sagte sie.


Mittwoch, 13. April 2011

Bier mit Eierlikör

Bier mit Eierlikör

Santa Claus hatte die Nase voll von Winter, Weihnachten und dem ganzen Zinnober. 
Er saß in seinem Doppeldecker und nahm Kurs auf den Frühling.

Der Bart war ab, die dicke Unterwäsche im Schrank verschwunden und den roten Kittel hatte er gegen ein „österliches Outfit“ eingetauscht. 
Er flog über Grönland, Island, an der Westküste Englands entlang und erreichte am späten Nachmittag den Hamburger Michel. Er landete auf einer Lichtung im Niendorfer Gehege, stieg aus und atmete tief durch. 
Alles um ihn herum duftete nach frischem Grün, zarten Knospen und Hagenbecks Tierpark. Zu seinen Füßen wuchsen vereinzelt Krokusse, die die Rehe übersehen hatten, und ein sanfter Wind wehte ihm ein Silberpapier entgegen. Ein Silberpapier? 
Santa sah sich um, und entdeckte noch mehr davon. 
Überall auf der Wiese taumelten diese kleinen glänzenden Blättchen herum. So ein Sauerei, dachte er, wer schmeißt denn hier einfach seinen Müll in die Gegend? 
Die flatternden Fetzen kamen alle aus der selben Richtung, und Santa stapfte los um die Quelle des Übels zu finden.

Am Waldrand lagen große Felsblöcke und als er näher kam, sah er zwei haarige Füße die dahinter hervorlugten. Es waren Hasenfüße Größe 50, und jemand, zu dem diese Füße gehörten, warf sein Silberpapier in die Höhe.
Dir werd ich helfen, dachte Santa, krempelte die Ärmel hoch und umrundete die Felsen. 
Er blieb stehen. „Du?“ sagte er.

Es war der Osterhase, der hinter den Steinen saß.
Ja, ich“, lallte der Hase, „ich bin es Herr Oberförster, der leibhaftige Osterhase. Ich sitze hier in Ihrem Wald, esse schon seit Stunden Eierlikör Eier und werfe meinen Müll in die Botanik. Wenn Sie mich jetzt verhaften wollen, denn könn Sie das ruhig tun – is sowieso schon egal.“ Er hob den Blick und stutzte. „Sie sehen heute aber komisch aus, Herr Oberförster. Is irgendwo Karneval?“
Der Weihnachtsmann stemmte die Hände in die Hüften und sah auf seinen Kollegen herunter. „Bist du betrunken?“
Noch nich ganz, aber bald.“ Der Osterhase steckte sich das Ei in den Mund: „Es ist nämlich gar nicht so leicht, sich mit Liköreiern zu betrinken, müssen Sie wissen.“
Der Weihnachtsmann ging in die Hocke.„Kumpel, was ist mit dir?“
Das geht Sie gar nichts an, Herr Oberförster. Das is meine ganz persönliche Privatangelegenheit.“
Aber ich bin nicht der Oberförster.“
Dann geht Sie das erst recht nichts an.“ sagte der Osterhase und wollte sich noch ein Ei aus seinem Korb nehmen. 
Der Weihnachtsmann legte ihm die Hand auf die Pfote. „Erkennst du mich denn nicht? Ich bin`s, Santa.“
Santa Claus?“, sagte der Hase und musterte ihn, dann schloß er die Augen und schüttelte den Kopf: „ Nee, Sie sind zwar auch ein Pummelchen, aber mein Freund Santa hat einen weißen Bart und ist viel viel dicker als Sie. Der hat`n Wanst wie `ne schwangere Seekuh und einen Hintern, wie `ne Nilpferd-Dame nach der fünften Niederkunft – bildlich gesprochen.“
Wie bitte?“
Ja, könn Sie ruhig glauben. Neben dem sieht ein Sumo Ringer aus, wie`n Strohhalm mit Esstörung. Der ist der verfressenste Kerl den ich kenne.“
Der verfressenste Kerl den du kennst?“
Sehr richtig“; sagte der Hase, „außerdem hat der immer so ein hübsches, rotes Plüsch - Jäckchen an. Damit sieht er aus, wie`n Wasserbett aus`m Rotlich - Milieu.“
Wasserbett?“
Genau.“
Der Weihnachtsmann griff den Hasen im Nacken und hielt ihn sich vors Gesicht. „Fusselkopp, es reicht!“
Niemand nennt mich „Fusselkopp“, außer meiner Mama und meinem Kumpel Santa Claus... Santa? Weihnachtsmann, bist du`s... wirklich?“ der Hase rieb sich die Augen.
Das kannst du wohl annehmen, deine Mama bin ich jedenfalls nicht.“
Oh Santa, du mein Weihnachtsmann“, sagte der Osterhase und fiel ihm um den Hals, „ach, das ist aber schön dich zu sehen.“
Is ja gut mein Freund, is ja gut. Nich so doll, ich kriege doch keine Luft mehr. Laß los jetzt. Lass los, ich hab eine Katzenhaar Allergie.“
Der Hase löste seinen Griff und sprang herunter.
Tschuldigung, ich hab mich wohl etwas gehen lassen.“
Schon gut, aber sag mal, was ist denn hier eigentlich los?“
Das ist eine längere und traurige Geschichte.“sagte der Osterhase.
Na dann lass uns zum Flugzeug gehen, da ist es warm und ich hatte noch kein Abendbrot.“ 
Sie gingen zum Flugzeug, stiegen ein und machten es sich gemütlich.

So Fusselkopp, dann erzähl mir doch mal wo der Schuh dich drückt.“
Der Osterhase holte tief Luft: „Also gestern, da war doch so schönes Wetter, weißt du, und da hab ich gedacht: Geh doch mal in den Tierpark. Da kannst du dich ein wenig in die Sonne legen und dich entspannen, bevor Morgen der Stress mit den Eiern wieder losgeht.“
Und?“
Hab ich auch gemacht. Ich bin über den Zaun gehüpft, habe mich auf eine Wiese gelegt und meine Nase in die Sonne gehalten.“
Und dann?“
Dann haben sie mich entdeckt und sind über mich hergefallen.“
Wer?“
Drei kleine Burschen. Vielleicht zehn Jahre alt. „Guckt mal, wer da liegt“, hat einer gerufen, „das ist der Osterhase.“ Dann sind die anderen gekommen. Ich hab gedacht, dass sie vielleicht ein Autogramm von mir wollen, aber von wegen. Die haben sich sofort auf mich gestürzt, meine Arme und Beine festgehalten und einer hat sich auf meine Brust gesetzt.
Haben wir dich, du Mistvieh“, hat er gesagt, „Du bist also der, der immer unsere Süßigkeiten versteckt, wie? Findest du das lustig? Und wo sind überhaupt die Eier mit Pokemon - Geschmack?“ Dann kamen die Väter und haben mich angebrüllt: „He Osterblödmann, was denkst du dir? Wegen dir müssen wir hier im Park spazieren gehen und das Grünzeug bewundern - und Bier gibt das hier auch nicht.“ Dann kamen die Mütter: „Sag mal Mümmelmann, hast du sie noch alle, die Eier immer so tief im Gebüsch zu verstecken? Die Kinder sind völlig verdreckt und die Klamotten sind hin. Das wirst du uns ersetzen, du Spaßvogel.“ Dann wurde es wirklich schlimm, denn ein paar ältere Damen drängelten sich vor: „Ach sieh da, der Herr Osterhase, das ist ja schön, dass wir uns mal begegnen. Siehst du diese Speckrollen hier? Die kommen von deinen Nougat- Eiern. Und dieses Doppelkinn? Das kommt von deinem Marzipan. Und dieser dicke Hängehintern, den ich Tag für Tag mit mir herumschleppen muß? Glaubst du, dass der von deinen fettreduzierten Mousse au chocolat – Eiern kommt?“ Der Hase verzog das Gesicht:  "Es war ekelhaft, sage ich dir.“
Und“; sagte der Weihnachtsmann, „ wie bist du ihnen entkommen?“
Ich habe ein bisschen Spucke gesammelt und damit Schaum vor meinem Mund gemacht, dann habe ich den Bengel in den Arm gebissen, mit den Augen gerollt und den „tollwütigen Rammler“ gegeben. Das hat sie für einen Moment erschreckt und ich konnte abhauen.“
Meine Güte“, sagte Santa Claus, „und was jetzt?“
Jetzt wollen sie, dass der Förster mich abschießt. Morgen früh. Anstatt auf Eiersuche gehen sie auf Hasenhatz.“
Und du?“sagte der Weihnachtsmann.
Ich? Ich werde kündigen, was dachtest du denn? Ich verschwinde von hier. Die sind doch nicht ganz dicht, erst denken sie sich Leute wie uns aus, und dann...?“
Der Weihnachtsmann kratzte sich am Kinn, dann schüttelte er den Kopf.
Nein, mein Freund, so geht das nicht. Wenn die Menschen sich was von uns wünschen, dann sollten wir ihnen diesen Wunsch auch erfüllen.“
Spinnst du Santa? Soll ich mich etwa von denen abknallen lassen?“
Nein Fusselkopp, natürlich nicht. Ich meine etwas anderes.“
Und was?“
Hm, sie wollten doch gerne Pokemon-Geschmack, oder?“
Ja.“
Pokemons schmecken nach Lebertran, glaube ich.“
Das kann sein.“
Und Bier-Füllung wollten sie haben?“
Ja.“
Und etwas, das nicht dick macht?“
Das auch.“
So was wie Handkäs vielleicht, oder fauler Fisch?“
Klingt gut“, sagte der Osterhase.
Und, glaubst du, dass dein Körbchen so was produzieren könnte?“
Mein Körbchen kann jede Geschmacksrichtung und jedes Aroma herstellen, das ich will. Wie wäre es zum Beispiel mit „Hühnerkacke“, oder „Weißkohlpups“ oder „Currywurstkotze?“
Nicht übertreiben, mein Freund.“
Schade.“
Aber Hühnerkacke wäre passend, finde ich.“ sagte der Weihnachtsmann, „und wie viele könnte dein Körbchen davon machen?“
Ohne Ende.Der Korb ist das neueste Modell, der lädt automatisch nach, sooft wie wir wollen.“
Siehst du, dann haben wir ja alles was wir brauchen, und wir haben sogar ein Flugzeug dabei um diese köstliche Fracht bei ihnen abzuliefern. Sie werden nicht mal suchen müssen.“
Das wird eine schöne Bescherung.“ sagte der Hase.
Oh ja, mein Freund, das wird es ganz bestimmt. Aber jetzt sollten wir ein bisschen schlafen, damit wir morgen auch richtig fit sind für unseren Einsatz.“
Da hast du recht“, sagte der Hase, „ aber Santa, was werden wir machen, wenn die ganze Schweinerei hier vorbei ist?“
Dann lieber Fusselkopp, fliegen wir an die Küste und machen Urlaub. Wir mieten uns einen Strandkorb und trinken Bier mit Eierlikör.“
Oder Eierlikör mit Bier.“
Von mir aus auch Eierlikör mit Bier.“
Weil ja Ostern ist.“
Ganz genau, weil Ostern ist.“

Dienstag, 15. März 2011

Pretty Potato

Pretty potato


Es war Donnerstag in Nürnberg.
Anderswo war es natürlich auch Donnerstag, aber hier, auf dem Platz vor dem Rathaus, wurde der älteste Wochenmarkt Deutschlands abgehalten. Das war das Besondere.
Jede Woche, jeden Donnerstag, seit mehr als tausend Jahren.
Könige waren gekrönt und enthauptet worden, man hatte Päpste gewählt und zum Teufel gewünscht, Hexen verbrannt und Kriege jeder Art geführt.
Der Markt interessierte sich nicht dafür. Er öffnete um sieben und schloss um zwei. Das war Tradition und daran änderte sich nichts.

Die Gesichter der Händler waren vom Wetter zerfurcht, und ihre Stimmen waren ebenso rauh wie ihre Hände.
Sie priesen ihre Waren an, das Kleingeld klimperte, die Würstchen zischten auf dem Rost und das Federvieh hatte dunkle Vorahnungen.
Im Schatten, unter Hubers Obst - und Gemüsestand lag eine leicht verschrumpelte Kartoffel.
Sie hieß Cilena und war am Morgen vom Tisch gefallen.
Cilena genoß die Kühle und den Frieden.
Hier würde sie niemand behelligen. Keine Menschenhände würden sie heute befingern und dann als „zu alt“ zurück legen. Heute nicht.
Nein, heute war ein guter Tag, davon war sie überzeugt.

Pluto, ein reinrassiger Retrievermischling aus gutem Hause, hatte sein betrunkenes Herrchen im Biergarten sitzen gelassen und schnüffelte auf verschlungenen Pfaden allein durch das Gewimmel.
Ja, nichts roch so gut, wie ein Markttag im Sommer.
Vor allem unter und hinter den Ständen,da wo man nicht hin durfte. Bleiche Fischköpfe mit glasigen Augen gab es da, geronnenes Schweineblut und manchmal sogar eine grüne Leberwurst mit leichtem Schimmelpilz.
Plutos Nase konnte sich keinen anderen Himmel vorstellen.

Cilena hing ihren Gedanken nach.
Ach,es gab so vieles, worüber man als Kartoffel in mittleren Jahren nachsinnen musste.
Es waren nicht etwa Themen wie Falten oder Altersflecken, die sie beschäftigten. Oh nein,es waren die großen Fragen um die es ging.
Wie konnte man dem Hunger auf der Welt begegnen, ohne die Kartoffeln zu benachteiligen?
Wie konnte man den ewigen Konflikt mit den Menschen beilegen, die sich doch immer neue Gemeinheiten gegen ihr Volk ausdachten?
Wie konnte man so schaurige Begriffe wie: BRAT-Kartoffeln, Pommes FRITES ( eine französische Form der Barbarei), PELL-Kartoffeln oder Kartoffel-BREI ein für alle mal aus dem Wortschatz der Welt verbannen? Die Erinnerung an das Schicksal ihrer mehlig - kochenden Verwandtschaft jagte ihr gerade kalte Schauer über den Rücken,als sie sich einer feuchten Hundeschnauze gegenüber sah.
Ein Monstrum, ein Kartoffelfresser! Es hatte sie entdeckt.
Die schwarze Nase glänzte, schnüffelte und schnaubte, dass es Cilena durch durch Keim und Pelle ging.
Sie sah die Leberwurstreste zwischen seinen Reißzähnen, sah seine Zunge die lüstern aus dem Maul baumelte und roch seinen fauligen Atem.
Unter ihrer bescheidenen Schale war sie noch immer eine köstliche Knolle, und dieses Ding würde sie verschlingen, ganz bestimmt.
Die Welt wurde blendend hell, und Celina wurde ohnmächtig.

Pluto legte den Kopf schief und fragte sich, was er da denn wohl gefunden hatte. Gut riechen tat es jedenfalls nicht. Ein Ball vielleicht? Pluto war kein großer Denker, also stupste er seine Entdeckung probehalber mit der Nase an.
Diese Berührung kam einem Küsschen gleich und augenblicklich
machte es „FUMP!“
Ein Geräusch,wie das Platzen einer kolossalen Kaugummi Blase.
Der Obststand wurde in die Höhe gestemmt, Kisten polterten zu Boden, das Gestänge der Überdachung knickte ein und eine Welle von Südfrüchten brandete den Marktbesuchern entgegen.
Den Huberbauern, dem der Stand gehörte, haute es von den Füßen und er krachte rücklings in die Wassermelonen.
Aus den Trümmern erhob sich eine Gestalt.
Sie trug ein Dirndl so rot, wie ein Feuerwehrauto und die Reste einer Pampelmuse klebten in ihrem Haar.
Plutos Kuss hatte Cilena zurück verwandelt in das,was sie eigentlich war: Eine gut erhaltene Bäuerin von knapp fünfundfünfzig Jahren.
Ja, mi leckts am...“ entfuhr es dem Huberbauern. Er hatte sein Lebtag noch keine Erscheinung gehabt, aber dies war ganz bestimmt eine, das war sicher. Von einer höheren Macht hervorgerufen. Vom lieben Gott, oder vielleicht sogar vom Bayerischen Rundfunk.
Alois Huber lag in seinen Wassermelonen, bekam eine feuchte Hose und den Mund nicht wieder zu. So etwas Schönes wie Celina hatte er zuletzt im Kino gesehen.
Amors Pfeil steckte tief in Alois Stirn und es war ihm egal, dass die Liebe angeblich blind machen sollte,
Hauptsache der Rest funktionierte.

Sie wurden ein Paar, der Alois und die Celina, sie heirateten schon bald im Rathaus zu Nürnberg und Pluto bekam zur Belohnung
so viele Weißwürste und so viel Starkbier, dass er auf die Marmortreppen kotzte.
Alois und Cilena wurden glücklich miteinander, und nur manchmal verdunkelte eine kleine Wolke den Himmel über Cilenas Seligkeit,
denn Alois war ein großartiger Bursche und ein diensteifriger Liebhaber, aber der Pluto, der küsste eindeutig besser. 




 

Sonntag, 13. März 2011

Marlboro und Bauernrosen


Marlboro und Bauernrosen

Fast geräuschlos gleitet ein Nachtzug aus der Halle. 
Der Bahnsteig ist leer, bis auf mich. 
Ich stecke mir eine Zigarette an, und sehe ihm hinterher, die Schlusslichter werden kleiner. 
Es ist Samstag, der 23. August. Ein warmer Abendwind weht um meine Hosenbeine und spült den Duft von Bauernrosen und alten Zeitungen durch die Bahnhofshalle.
Die roten Lichter verschwinden in Dunst und Dunkelheit. 
Nur ein schabendes Pfeifen ab und zu, und das typische ta-tack ta-tack ist zu hören, wenn die Waggons über die Nahtstellen der Gleise fahren.
Ich rauchte nicht gern, es bekommt mir nicht.
Es macht mir Kopfschmerzen und ein gemeines Kratzen im Hals, aber es muss sein, der Cowboy auf dem Plakat gegenüber raucht schließlich auch.
So sieht ein richtiger Mann aus. Mit kleinen Fältchen um die Augen und kräftigen Händen. Mit breiten Schultern und einem Lächeln, das die Kerle auf Abstand hält, und den Damen Herzklopfen macht.
Die Anzeigentafel über mir rattert die nächsten Abfahrtszeiten herunter.
Es ist 23Uhr18.
Der ICE zeigt sich in der Einfahrt. 
Ein Pfeifen und Surren der Schienen begleitet seinen Auftritt. Ich werfe die Kippe auf den Boden, spurte los und renne einige Meter vor der Schnauze her - der Lokführer soll mich sehen. Der Mann im Führerhaus macht große Augen. Er tritt auf die Bremse, er zieht an den Hebeln, aber es ist zu spät. Noch ein, zwei große Schritte, dann werfe ich mich seitwärts, mitten hinein in das Kreischen der Räder.
Der Express berührt meine Brust nur flüchtig, dann begräbt er mich unter Tonnen von veröltem Stahl.
Ich schlage mit dem Hinterkopf, badambadam gegen die Schwellen – dann der Geruch von Urin und Teer - dann Dunkelheit.
Die Vorderachse zerreißt mir den linken Arm, ich werde quer über die Gleise geschleudert und einer der Radreifen schneidet meinen Oberkörper in zwei ungleiche Hälften - das war´s.

Ich komme jeden Abend hierher – immer pünktlich.
Ich stellte es mir vor, immer und immer wieder.
Dann wird mir schlecht.
Na du Held? Hast wohl`n schwachen Magen, wie?“
Jemand lacht, aber ich bin allein auf diesem Bahnsteig...
Du Möchtegern Selbstmörder. Schaffst es wieder nicht, was?“
Wer...?“ Ich sehe mich um, kann aber niemanden entdecken.
Hier drüben, Brillenschlange.“
Wo?“
Hier auf deinem Lieblingsplakat, Mensch.“
Es ist der Marlboro-Mann. Er bewegt sich nicht, aber er spricht mit mir.
An der Wand neben ihm lehnt eine Leiter, die wohl jemand vergessen hat. Meine Fantasie ist schuld, ich habe zu viel davon.
Fantasie? Wenn du Fantasie hättest, dann hättest du Micky Maus erfunden, oder so was“, sagt er.
Ich verstehe nicht...“
Wie, du verstehst mich nicht. Soll ich lauter reden, kleiner Mann? Hast wohl außer deinem Hirnschaden auch noch was mit den Ohren, wie?“
Sie reden mit mir“, sage ich.
Sehr richtig, gut erkannt. Ich rede mit dir, kleiner Mann. Und willst du auch wissen, warum ich das tue? “
Ja.“
Well, ich will es dir sagen, Shorty, oh ja, das will ich. Ich rede mit dir, weil du mich ankotzt! Weil ich mir dein langweiliges Theater hier jeden Abend ansehen muß. Deinen „Sterbender Schwan“- Schwachsinn.
Weil du hier auf meinen Bahnsteig kommst um dich umzubringen, aber zu feige bist, es wirklich zu tun, und...“
Ich bin nicht...“
Was bist du nicht?“
Ich bin nicht feige.“
Ach nein? Was bist du denn dann?“
Ich habe nur...“ sage ich.
Sein Lachen weht eine leere Chipstüte auf die Gleise.
Was hast du? Nichts hast du. Weil du kein Mann bist. Du bist gar nichts. Du bist nicht mal ein Mädchen.“
Ein Mädchen?“
Klar mein Freund. Wenn du ein Mann wärst, würdest du tun, was ein Mann tun muss. Wenn du ein Mädchen wärst, dann würdest du sagen: „Pfeif doch drauf“, und machen was du willst, aber so?“
Ich bin ein Mann“, sage ich.
Er lacht und hustet gleichzeitig.
Nein.“
Ich bin ein Mann.“
Bist du nicht.“
Ich werde es beweisen.“
Wie willst du es beweisen?“
Ich werde es tun.“
Was willst du tun, dich vor den Zug schmeißen?“
Ich werde es tun.“
Wann?“
Morgen...Morgen Abend.“
Morgen Abend?“
Ja.“
Gut, Shorty, ich werde hier sein.“

Ich drücke die Zigarette sorgfältig im Aschenbecher aus, dann steige ich mit steifen Knien die Treppe hinunter. Nur wenige Leute mit Koffern und Taschen kommen mir entgegen.
Mein Magen fühlte sich an wie ein Knoten aus rostigem Eisen, und hinter meinen Schläfen wütet ein wahnsinniger Trommler.
Bevor ich den Kiosk betrete, betrachte ich mein Spiegelbild in der Fensterscheibe.
Niemand trägt eine beige Windjacke, braune Hosen und schwarze Schnürschuhe die auf Hochglanz poliert sind, weil man seine Schuhe pflegen muss. Niemand. Der Marlboro Mann hat recht.

Oh hallo, guten Abend, der Herr. Einen kleinen Jack Daniels und einmal „Freiheit und Abenteuer“ wie üblich?“ Die Dame vom Kiosk ist freundlich, sie ist immer freundlich – zu jedem. Wie die Huren am Hafen.
Zigaretten habe ich noch genug, aber ich will ihr nicht widersprechen. Älteren Damen widerspricht man nicht.
Ja, bitte.“ sage ich.
Hier bitteschön, der Herr. Das macht dann neun Euro fünfzig.“
Ich hole mein Portemonnaie aus der Hosentasche, nehme einen neuen Zehner heraus und streiche ihn sorgfältig glatt, bevor ich ihn auf die Theke lege. Die Kasse klingelt.
So, hier sind fünfzig Cent zurück. Vielen Dank.“
Draußen in der Vorhalle singt ein Straßenmusikant: „Johnny be good...“ und drischt auf seine Gitarre ein. Ich sehe mich in dem Kiosk um.
Ach, den Filzstift da, den hätte ich gerne auch noch“, sage ich.
Diesen hier?“
Nein, den dicken roten da hinten.“
Diesen?“
Ja, bitte.“
Dann sind das nochmal drei-fünfzig, der Herr.“
Hier, bitteschön.“
Vielen Dank“, sagt die freundliche Dame, „ und einen schönen Abend noch.“
Ich nehme meine Sachen und verlasse den Laden.
Ein Mann muss tun, was ein Mann tun muss“, geht es mir durch den Kopf. „Go Johnny, go!“
Ich steige die altbekannten 68 Stufen zum Bahnsteig wieder hinauf.

Nanu, kleiner Mann, du wolltest doch erst Morgen kommen?“
Ich gehe auf das Plakat zu und greife in meine Jacke.
Was hast du da, Shorty? Was hast du vor?“
Ich nehme die Leiter und steige zu ihm hinauf, jetzt sehe ich direkt in sein strahlend blaues Auge.
Was soll das werden, nimm die Leiter da weg“, sagt er.
Ich nehme den Filzstift und male ihm eine große, runde, rote Nase.
Sehr sorgfältig, dann steige ich runter und stelle die Leiter zurück.
Was hast du gemacht? Verdammt, ich kann es nicht sehen. Los du kleine Schwuchtel, rede!“
Ein Lächeln zupft an meinen Mundwinkeln
Ich bin ein Mädchen“, sage ich,“und ich Pfeif` was drauf!“
Tauben flattern durch die Halle.

Ich habe schon lange nicht mehr so gelacht...