Die Sache mit Drei-Finger-Joe
Es war ein
heißer, schwüler Nachmittag in Fort Lauderdale. Genauso
unerträglich, wie jeder andere verdammte Nachmittag in diesem
verdammten Florida, dachte Agent Myers.
An anderen Tagen
funktionierte wenigstens die Klimaanlage, aber die war am frühen
Vormittag ausgefallen, und so hatte sich das Polizeipräsidium in
etwas verwandelt, dessen Klima es mit jeder Waschküche aufnehmen
konnte. Samuel Myers war erst vor acht Wochen aus New York hierher
versetzt worden und er hasste diesen so genannten „Sunshine State“
seit er das Flugzeug verlassen hatte.
Er grüßte
knapp, als ihm Officer Mc Mullen, ein breitschultriger Kollege in
Uniform, die Tür zu Verhörraum Nr.4 öffnete. Darin befanden sich
ein Tisch, zwei Stühle und ein hagerer Kerl, der auf einem der
Stühle saß. Die Jalousien waren heruntergelassen, aber auch in
diesem schattigen Halbdunkel, war zu erkennen, dass der Mann
auffallend teuer gekleidet war. Nur seine weißen Lederhandschuhe
wirkten unpassend. „Mafia-fashion“, Myers grinste.
„Hi, ich bin
Agent Samuel Myers.“
„Ich weiß“,
sagte der Mann.
Der Agent nahm
sich den freien Stuhl und setzte sich. Er warf einen Blick in den
Aktenordner, den er mitgebracht hatte: „Ihr Name ist Giovanni
Bugiardo?“
„Ja.“
„Hier steht,
dass man Sie auch `Drei-Finger-Joe` nennt.“
„Das kommt vor.“
„Merkwürdig.
Wie ich sehe, haben Sie noch alle ihre Finger.“
„Das hat nichts
miteinander zu tun.“
„Und die
Handschuhe, warum tragen Sie die?“
„Fragen Sie
meinen Hautarzt. Ich brauche dazu nichts zu sagen.“
„Mr.Bugiardo,
sie wissen, was man Ihnen vorwirft?“
„Darf ich
rauchen?“
„Rauchen?
Natürlich, aber ich habe keine Zigaretten dabei.“
„Ich habe
alles, was ich brauche, Sie müssten mich nur von diesen Dingern hier
befreien.“
„Die
Handschellen?“
„Ja bitte.“
Myers zögerte
einen Moment, dann ging er zur Tür und gab dem Kollegen draußen
seinen Revolver. Er wollte kein Risiko eingehen. Dann ging er zurück
und nahm Joe die Fesseln ab. „Gut, aber keine faulen Tricks.“
„Ich werde
nicht weglaufen, keine Angst.“ Der Mafiamann holte ein flaches Etui
hervor, nahm eine Zigarette heraus und steckte es zurück.
„Mr. Bugiardo,
sie werden beschuldigt, sechs junge Frauen ermordet zu haben.“
„Es waren
sieben.“
„Was sagen sie
da?“
Joe fingerte ein
silbernes Feuerzeug aus seiner Hosentasche: „Die Letzte habt ihr
nur noch nicht gefunden.“
„Sie geben es
zu?“
„Natürlich,
ist doch egal.“
„Egal?“
Der Mafioso
steckte seine Zigarette in Brand: „Ja, es ist egal, ob ich es
zugebe, weil du mich sowieso laufen lässt.“
„Ich werde Sie
laufen Lassen? Warum sollte ich das tun?“
„Weil ich dir sonst
erkläre, was es mit meinem Spitznamen auf sich hat.“
„Ach ja? Und
was sollte das sein?“
Joe hob den
Daumen seiner linken Hand: „Eins“, sagte er, „Ich werde dir ein
bisschen wehtun.“ Er hob den Zeigefinger: „Zwei. Ich werde dir
ein wenig mehr wehtun. „Bei drei“, er streckte den Mittelfinger
aus, „wird es für dich richtig unangenehm.“
„Sie wollen
mir drohen?“
Bugiardo
lächelte: „Ein schönes Auto hast Du da auf dem Parkplatz.“
„Was geht sie
mein Auto an?“
Joe klappte sein
Feuerzeug auf und drückte einen verborgenen Mechanismus. „Eins!",
sagte er, und von draußen war eine gewaltige Explosion zu hören.
Myers stürzte
zum Fenster und sah seinen Wagen in hellen Flammen stehen. Er drehte
sich um: „Sie Wahnsinniger, was haben sie getan?“
Auf dem Flur
waren eilige Schritte und laute Rufe zu hören.
„Ich habe sieben
Frauen getötet und gerade Deinen Mustang in die Luft gejagt. Kann
ich jetzt gehen?“
„Sie
Drecksack! Ich werde Sie abknallen.“
Drei Finger Joe
winkte lässig ab: „Nein, das wirst Du nicht.“
„Ach, und
warum nicht?“
„Weil Du dann
nie erfährst, wie Du das Leben deiner Familie retten kannst.“
Myers stürzte sich auf ihn, griff die Revers seiner Jacke und hob
Joe in die Höhe: „Meine Familie? Was ist mit meiner Familie, Du
Mistkerl.“
Joe blieb die
Ruhe selbst: „Pfoten weg, sonst erfährst Du gar nichts.“
Myers ließ ihn
los. „Also gut, reden Sie.“
„Lässt Du
mich laufen?“
„Kann schon
sein.“
„Schwörst
du`s?“
„Ja, verdammt
nochmal. Ja.“
„Die Explosion
hat einen Impuls gesendet. In drei Minuten geht Deine Garage hoch.
Hast du ein Handy?“
„Ja.“
„Dann ruf`
Deine Frau an und sag ihr, sie soll in den Keller gehen. Los, beeil
dich.“
Myers holte mit
fliegenden Fingern sein Mobiltelefon heraus: „Schatz? Hallo Schatz
– ja, ich bin`s. Hör zu, stell keine Fragen. Nimm Josh und den
Hund und geh so schnell du kannst runter in den Keller. Sofort!“
Der Schweiß lief Myers in Strömen übers Gesicht.
Joe drückte
seine Kippe auf der Tischplatte aus und erhob sich: „Gut, dann
können wir ja jetzt gehen.“
„Gehen?“
Myers schnaubte verächtlich, „ Du gehst nirgendwo hin. Nur in den
Knast – und dann auf den Stuhl!“
„Zwei!",
sagte Joe und hielt Myers seinen Zeigefinger vor die Nase, „Du
brichst dein Wort, und du hast geflucht, das tut man nicht. Darum
werden Deine Lieben in genau acht Minuten diese schöne Welt
verlassen.“
„Was?“
„Dein Anruf,
mein Freund, hat die Ladung erst scharf geschaltet. Und, sie ist auch
nicht in der Garage ...“
„Du verdammter
...“ Ein Schuss peitschte die Luft, dann sackte Myers zusammen.
„Drei“,
sagte Joe und sah auf die rauchende Kuppe seines rechten
„Zeigefingers“.
„Falls du es
genau wissen willst“, flüsterte er, „bald sind es acht.“ Er
klopfte drei Mal an die Tür. Der wachhabende Officer öffnete ihm.
„O.K Mc
Mullen“, sagte Joe und klopfte dem Mann vertraulich auf die
Schulter, „Agent Myers hat mir soeben die Erlaubnis gegeben, diese
gastliche Stätte zu verlassen. Los bring mich raus.“
„Ich glaube,
du bleibst besser hier.“
„Wie?“
„Du hast
gerade einen Agenten der Bundespolizei erschossen.“
Joe verzog das
Gesicht: „Ach, sag bloß. Darauf wäre ich von selbst nicht
gekommen. Mach keinen Quatsch und bring mich zum Hinterausgang. Mein
Wagen wartet.“
„Nein.“
„Nein? Was
soll das heißen, du irischer Vollidiot, du stehst auf meiner
Gehaltsliste.“
„Du bleibst
hier Joe.“
„Gut, wenn du
es nicht anders willst, werde ich jetzt bis drei zählen. Du weißt,
was das heißt.“
Mc Mullen griff
Joes rechten Arm und presste ihn gegen die Wand, gleichzeitig zog er
die 38er, die Myers ihm gegeben hatte, aus dem Hosenbund. "Seit
zwanzig Jahren bedrohst, und erpresst du mich jetzt Mr. Dreifinger.
Ich habe getan, was du wolltest, aber damit ist jetzt Schluss.“ Er
drückte Joe den Revolver gegen die Rippen.
Der Mafioso
grinste ihn an: „Du wirst mich nicht erschießen. Du bist ein
Bulle, du bist an die Gesetze gebunden.“
„Ich schon“,
sagte der Officer. Dann deutete er mit dem Kopf in Myers` Richtung,
„aber er nicht.“
Mc Mullen
schleuderte Joe in den Raum zurück, dann bellte die 38er einmal kurz
auf. Der Officer wischte die Pistole ab und legte sie dem toten
Agenten in die Hand. Er nahm sein Funkgerät:
„Hier Officer Mc
Mullen, brauche dringend Verstärkung und einen Krankenwagen. Habe
hier zwei Verletzte in Vernehmungsraum Nr.4, beeilt euch.“
Sie
würden zu spät kommen, ganz egal, mit wie viel Blaulicht sie auch
anrückten. Mc Mullen atmete tief durch.
Diesen linken Spaghetti war
er los, und die „Familie“ konnte ihm nichts. Schließlich hatte
er Drei-Finger-Joe nach Kräften unterstützt und sogar den
Sprengstoff unter dem Auto deponiert. Agent Myers war bestimmt ein
Verlust, aber adererseits hatte Mc Mullen diese lackierten FBI Typen noch nie wirklich leiden
können.
J.H.