„Was
für eine dumme Frage!“, sagt einer der Brüder, „Natürlich
nicht! Die Freude am Herrn ist unsere Stärke, mein Lieber,“ er
schlägt mir auf die Schulter, „immer fröhlich. Immer immer
fröhlich ... Wir glauben schließlich, dass wir in Gottes
Herrlichkeit eingehen. Oder?“
Er
sieht mir in die Augen: „Oder?“
Ich
nicke, weil er mir sonst vielleicht den Arm bricht.
Ein
Freund, der meine Überzeugungen noch nie teilen konnte, sagt: „Ach,
wein´ doch ruhig, heul` dich aus, du hast allen Grund dazu. Erst
dieser Verlust, und jetzt auch noch die Enttäuschung, dass es dir
trotz deines Glaubens kein Bisschen besser geht, als jedem Anderen.
Was
ist das für ein Gott, der dich allein lässt in deinem Elend? Es ist
alles frommer Unsinn. Ich habe es gewusst. Ich hab`s immer gewusst,
aber du wolltest ja nicht auf mich hören.
Ich
nicke, damit er den Mund hält. Vielen Dank, für die Anteilnahme.
Ich
gehe in Gottes Ewigkeit, ich gehe nachhause - wenn ich gehe. Meine
Zeit hier auf der Erde, ist nur ein Teil meines Lebens, aber kommt
der Begriff „Trauer“ deshalb in Gottes und meinem Vokabular nicht
mehr vor?
Stellt
euch einmal vor: Da gibt es eine Pier.
Eine Pier, von der früher die Ozeanriesen in die „Neue
Welt“ abgelegt haben.
Denkt euch, an diesem Kai gäbe es einen
Passagierdampfer, aber anstatt ins Land der Wolkenkratzer, fährt
dieser in die Ewigkeit.
Der
„Dicke Pott“ macht an der Columbuskaje fest.
Rauch
quillt dicht und weiß aus seinem Schornstein und das Tuten seines
Nebelhorns lässt die Kaje erzittern. Die Möwen kreischen, die
Ankerkette rumpelt gegen die Bordwand, die Gangway wird
heruntergelassen.
Einer
von uns geht an Bord.
Kein
Koffer, kein Blick zurück.
Wir
stehen am Ufer. Wir schauen zu, und winken.
Die
Luft ist salzig, es riecht nach Brackwasser und feuchtem Tauwerk.
Ein
Schifferklavier stimmt „Welch ein Freund ist unser Jesus“ an, und
einer erinnert sich an die letzten Wochen.
Er
denkt an Neonlicht, an Infusionen, an Katheter, Bettpfannen, den
Geruch von Desinfektionsmitteln und an - Hilflosigkeit. Aber das ist
jetzt alles vorbei.
Endgültig
vorbei.
Kein
Küchendunst im Fahrstuhl mehr, keine Gesundheitslatschen, die über
die Gänge quietschen. Kein dritter Stock, wo die hoffnungslosen
Fälle liegen.
Es
ist vollbracht – Gott sei Dank!
Seine
Erleichterung bricht aus ihm heraus: „Seht nur,“ er läuft auf
der Kaimauer entlang und seine Stimme will sich überschlagen, „Seht!
Es ist geschafft! Jetzt wird alles gut! Jetzt kann ihm nichts
Schlimmes mehr passieren – gute Reise, mein Freund, gute Reise! Und
grüß `mir die Lieben schön!“
Jesus
nickt ihm zu – und lächelt. Er hat teuer für diese Passage
bezahlt.
Einem
Anderen fällt das Winken schwer.
So
schwer, dass er seine Hand sinken lässt, sich umdreht, den Kragen
hochschlägt und seine Hände bis an die Ellenbogen in den
Manteltaschen vergräbt. Es ist alles logisch, es ist alles wahr,
aber es ist auch alles viel zu groß.
Er
meint, seinen Atem vor dem Gesicht zu sehen. Ist es tatsächlich
Mitte August?
Er
geht, den Kopf gesenkt, die Schultern hochgezogen. Sein Blick klebt
an den Spitzen seiner Sonntagsschuhe. Ein Tropfen sammelt sich an
seiner Nasenspitze, seine Brust wird eng und sein Magen zieht sich
zusammen. Der Wind ist schuld. Der treibt einem die Tränen in die
Augen.
Nur
weg hier, weg!
Er
hört Schritte, die ihm nachlaufen.
Jemand
bufft ihn in die Seite:
„Hey,
du willst doch wohl nicht anfangen zu heulen, oder?“
„Doch,
Herr, das will ich.“
„Brauchst
du `n Taschentuch?“
„Ja.“
„Hier,
nimm.“
„Darf
ich da rein schnauben?“
„Klar,
ist doch meins.“
„Danke.“
„Und,
wo willst du jetzt hin?“
„Ich
weiß es nicht, Herr, ... ich weiß es verdammt noch mal wirklich
nicht.“
„Dann
ist es gut, dann komme ich mit.“
In
der Ferne spielt das Schifferklavier „Welch ein Freund ist unser
Jesus“, und das Schifferklavier hat da wohl Recht
J.H..